KALIPO "ALLES" VS. MONOLINK "THE BEAUTY OF IT ALL" VS. THE HIDDEN CAMERAS "BRONTO": ALLES...UND NOCH VIEL MEHR - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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KALIPO "ALLES" VS. MONOLINK "THE BEAUTY OF IT ALL" VS. THE HIDDEN CAMERAS "BRONTO": ALLES...UND NOCH VIEL MEHR

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Als Teil der Anarcho-Elektroniker von Frittenbude ist Jakob Häglsperger erstmals in Erscheinung getreten. Doch dass dies nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten würde, konnte man bei seinem Soloprojekt Kalipo ausmachen, bei dem der gebürtige Bayer seine Liebe für urbanen, leicht melancholischen Clubsound frönte. Das 2018er Album "Space Bob" mit Stücken wie "Gib ihnen die Katze" ist nach wie vor ein gut zu hörendes Werk, das auch nach sieben Jahren nichts an Intensität und lässige Dynamik eingebüßt.

Mittlerweile hat der Mann aber neue Pfade betreten - und mit dem Anschluss an das Berliner Iptamenos Discos Label auch seine Liebe für schummrige Sounds auf der Schnittstelle zwischen EBM, Italo Disco und Techno gefunden. Kenner sprechen von Dark Disco, und Kalipo bildet die Speerspitze. Dieses Jahr veredelt er mit gleich zwei großartigen Alben. Denn neben dem nun erscheinenden "Alles" brachte er zuvor mit Local Suicide unter dem Moniker Dina Summer und ihrem Zweitling "Girl's Gang" die Diskotheken zum wackeln.

Doch lauschen wir nun den Kompositionen auf "Alles" - und sehen gleichzeitig ein Schwarz-Weiß-Foto, auf dem der Herr entspannt in die Kamera dreinblickt, während sich hinter ihm ein Wust aus Kabeln, Mischpulten und allerlei anderen Geräten erhebt. Ein Sinnbild für Jakobs Liebe zur elektronischen Musik, die er auf diesem Album bewusst dunkel und gleichzeitig tanzbar hält. Dark Disco eben.

Kalipos Kunst besteht allerdings darin, sich nicht in überfrachteten Sounds zu verlieren, sondern in der Reduktion die Ekstase zu suchen. "Crimson Rain" ist so ein vorzügliches Beispiel: Eine Basslinie, die sich durch den gesamten Song durchzieht, dazu ein lasziv-cooler Text im leicht monotonen Timbre vortragen - fertig ist ein fulminanter Track, der einen waghalsigen Tanz auf der Trennlinie zwischen Innovation und Nostalgie vollführt.

Das ist nämlich die Stärke von Kalipo: Er durchdenkt die Pophistorie und deutet sie neu. Deswegen ist "Geister" trotz Coldwave-Einschlag kein Anwenden bekannter Formeln, sondern ein Experiment: Wie sehr kann ein Stück nach gestern und heute klingen? Bei Kalipo finden wir die Antworten zwar nicht auf "Alles", aber auf die wichtigsten Fragen im Hinblick auf die Evolution der beatbasierten Tanzmusik.

Auch bei Steffen Linck überwiegt die Introspektion. Als Monolink verquickt er smoothe Bassdrums mit wattigen, teilweise hypnotischen Sounds, während er mit einer ebenso berührenden wie beruhigenden Stimme, die bisweilen an Jay-Jay Johanson erinnert, seine nachdenklichen Texte vorträgt. Damit ist der Duktus des dritten Albums wieder gesetzt: intim und nahbar klingt "Beauty Of It All" - und ja: schön. Wie es der Titel verspricht.

Schließlich geht Monolink einen besonderen Weg. Der Musikproduzent besitzt als Multiinstrumentalist das große Glück, sich nicht nur auf die Möglichkeiten zu verlassen, die ihm diverse Musikprogramme zur Verfügung stellen, sondern den grundlegenden elektronischen Nummern eine Erdung durch akustische Instrumente zu verleihen.

So sind die knackigen Beats bei "Powerful Play" zwar unverkennbar darauf hinaus, den Bewegungsapparat in Gang zu bringen, doch die sanften Gitarren lassen das Stück auch verträumt klingen. Noch deutlicher wird die Dynamik bei "Mesmerized", das mit seinem ruhigen Saitenspiel und den flirrenden, hohen Gesängen erst einmal an einen Indie-Barden denken lässt. Erst nach zwei Minuten schleichen sich subbassige Strukturen in die Komposition ein und aus der anfänglichen Ballade wird ein brodelnder Disco-Stampfer. Selten ist ein solcher Stilwechsel innerhalb eines Songs so perfekt geglückt wie hier.

Sicherlich ragt dieser Song turmhoch aus "The Beauty Of It All" heraus. Das bedeutet aber nicht, dass das übrige Material den Test nicht bestehen würden. Wir reden hier wirklich von einem Luxusproblem, denn jedes Stück ist für sich genommen potenziell hitverdächtig. Dass es aber "Powerful Play" und "Mesmerized" waren, die vorab das Publikum zu hören bekam, ist sicherlich nachvollziehbar. Doch ein Song wie "Promised Land" mit seinen Anklängen von Psy-Rock wäre ebenso gut eine Singleauskopplung wert gewesen.

"The Beauty Of It All" funktioniert aber auch auf Albumlänge, weil Steffen ein persönliches Werk geschaffen hat, das die Themen Schönheit und Vergänglichkeit ins Zentrum stellt. Der Mann selbst sei, wie er der Pressemeldung beifügte, für dieses Werk wieder zurück aufs Land, um seinen Anfängen nachzuspüren. Die beredte Stille, die er dort gefunden hat, führte zu diesem großartigen Album, das sicherlich in den Jahreslisten ganz oben vertreten sein wird.

Der Club als Institution beherbergte nicht nur nihilistische Freude und Realitätsflucht, sondern war bisweilen auch Widerstandszelle und politisches Statement. Als in den späten 1960ern Schwule und Lesben in Amerika begonnen haben, für ihre Gleichberechtigung zu kämpfen, diente die Diskothek als "safe space" und Ort der Kommunikation. Genau darauf wirft nun Joel Gibb, Mastermind des fluiden Popkollektivs The Hidden Cameras einen Blick darauf - und das überrascht.

Nicht wegen der Thematik, denn seit Anbeginn seiner Karriere stehen homosexuelle Lebensentwürfe im Mittelpunkt seiner Kunst. Diese stellt er bisweilen sehr explizit dar, sowohl in seinen Texten als auch auf der Bühne. Das führte schon zu einem kleinen Mini-Skandal, als der FC-Bayern-Fußballspieler Mehmet Scholl 2007 zu seiner Abschiedsfeier The Hidden Cameras einlud und diese mit einem kinky Auftritt die Führungsetage zum Brodeln brachte und gleichzeitig die immer noch herrschende, unter der Oberfläche brodelnde Homophobie ans Tageslicht brachte.

Allerdings nutzte Gibb für seine Songs einen eher einprägsamen Indie-Sound, den er selbst einmal als "gay folk church music" bezeichnete (tatsächlich spielten die versteckten Kameras sogar in Kirchen). Auf "Bronto" hat er die Klampfe größtenteils beiseite gelegt und das Studio als neues Instrument für sich entdeckt. Der Mann lebt eigentlich in Berlin, aber das Album hat er in München aufgenommen. Und anscheinend wehte noch ein bisschen der Geist des legendären Musicland-Studios, Adresse Nummer eins in Sachen hochwertig produzierter Discomusik anno Tobak, durch die Räume, denn viele Nummern auf diesem Album hätten auch in die damalige Zeit gepasst.

Da sind beispielsweise die markanten Bläsersätze bei "State Of", deren funky Touch die Röhrenjeans zur Schlaghose aufbläht. "Undertow" indes weckt Erinnerungen an Italo-Disco-Spielereien. Und "Quantify" greift stilsicher und selbstverständlich auf eine Reihe klassischer Disco-Elemente zurück. Natürlich bleiben sich The Hidden Cameras treu. Doch die Erweiterung des Repertoires um irisierende Tanzbodenlieder steht Joel Gibb, der allein schon wegen seines Nachnamens eigentlich nichts anderes hätte machen dürfen, gut zu Gesicht.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 09.09.25 | KONTAKT | WEITER: DORCAS VS. ÅRABROT>

Webseite:
www.mono.link


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Cover © Iptamenos Discos (Kalipo), Embasssy One (Monolink),  Motor/Edel (The Hidden Cameras)

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