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ALPHAVOX "ALPHAVOX" VS. NEAR EARTH ORBIT "ECHOES OF THE FUTURE": ARTAUDS APOKALYPTISCHE ACHTERBAHN

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So viel Chuzpe muss man erst einmal besitzen: Da ist man als führender Kopf von The Garden Of Delight im Gothic-Rock-Bereich sehr erfolgreich unterwegs, aber Artaud Seth hält dennoch an das selbst gesteckte Konzept fest: Die Band sollte nur sieben Jahre existieren und sieben Alben mit je sieben Songs veröffentlichen. Gesagt, getan: Nach Album nummer sieben, namentlich "Paradise", war Schluss. Zumindest vorerst. Denn im neuen Jahrtausend wurde das Buch neu aufgeschlagen. Das Projekt ließ den Artikel fallen, hieß also nur noch Garden Of Delight, kurz: GOD, lösten sich aber nach sieben Jahren erneut auf. Danach gründete Seth die Merciful Nuns, die gleichfalls einige Erfolge verbuchen konnten.

Alles, was der Mann anfasst, wird zu (schwarzem) Gold. Demnetsprechend ist auch sein Label Solar Lodge ein Schmelztiegel für Bands geworden, die sich stark an den Gothic-Rock der zweiten Generation anlehnen, also den druckvoll produzierten, eher vom Hard- und Psy-Rock beeinflussten Sound solcher Ikonen wie The Fields Of the Nephilim oder The Cult favorisieren. Dabei wird auch hier deutlich, dass es ihm nicht um eine bloße Konservierung des Stils geht, welche zwangsläufig zu einer Musealiserung und damit zum Genre-Tod führt.

Mit seinem Projekt Alphavox packt er sein ganzes Wissen in die Kompositionen, die er zusammen mit anderen Musikern (beheimatet natürlich auch bei Solar Lodge) erdacht hat. Mann könnte Alphavox' erste, selbstbetitelte Scheibe vielleicht als das Ergebnis eines "All-Star-Projekts" oder einer "Supergroup" bezeichnen, wobei das Umsichwerfen mit solchen Begriffen immer auch mit Vorsicht zu genießen ist. Sinn macht es in diesem Fall schon, weil Artaud seine Weggefährten seiner früheren Bands vereinigt: Mike York von Garden Of Delight und Rev Gonz (ex-Love Like Blood) sind mit dabei, aber eben auch Ashley Dayour (Whispers In The Shadow), Din-Tah Aeon (Aeon Sable) und Lars Kappeler (Sweet Ermengarde), um einige zu nennen.

Sie sind unter Artauds Anleitung zusammengekommen, um ein Album zu kreieren, das sowohl in seiner Gesamtheit strahlt, aber gleichzeitig die einzelnen Musiker hervorhebt. So ist beispielsweise "Shadowplay" durch Aeleth Kaven (La Scaltra) todessehnsüchtige Stimme in Verbindung mit den funkelnden Keyboard-Klängen und dem breiten Bass-Fundament eine getragene, naiv wirkende Endzeitballade, während Ashley mit "Dark Satellite" einen einnehmend schönen Gothic-Rock-Song kreiert hat, der von John Wolf (Your Life On Hold) perfekt eingesungen worden ist.

Dem gegenüber stehen die stets druckvollen und unheilvollen Sounds von Artaud, dessen stimmlicher Wechsel zwischen klarem Vortrag und beängstigendem Growlen zu den emotionalen Kipppunkten in den Stücken avancieren. "Sleeping Prophets" mag da als Paradebeispiel herhalten, das textlich einmal mehr vom Wunsch nach einem Ende der Welt kündet. Ein gelungener Abschluss eines großen Projekts.

Dass zu viele Köche den Brei verderben, kann bei "Alpahvox" nicht behauptet werden. Mehr noch schafft es das MusikerInnenkollektiv, einen epochalen Klang zu generieren, der Gothic-Rock als Genre weiterdenkt und so die lodernde Flamme der Dunkelheit wieder stärker brennen lässt.

Artaud Seth ist aber bereits schon einen Schritt weiter und lässt bei seinem bombastischen Projekt Near Earth Orbit die klassischen Gruftiemanierismen links liegen. 2015 gegründet, beschäftigt sich der Musiker seitdem mit dem Ende der Menschheit, das sich dieser Tage angesichts der mannigfaltigen Katastrophen - vor allem ökologischer, gesellschaftlicher und politischer Natur - wieder stärker in unser Bewusstsein eingenistet hat.

Doch "Echoes Of The Future" blickt nicht nur mit Sorge in die Zukunft, sondern wagt auch den Blick zurück und stellt die Frage: Wie konnte es dazu kommen? Die Antwort steckt im Song "Infocalypse" in Form eines Zitats: "Extinction is the rule, survival is the exception" - "Aussterben ist die Regel, Überleben die Ausnahme". Diesen Satz vom amerikanischen Astrophysiker Carl Sagan beschreibt die Misere, in der sich die Menschheit befindet. Denn blicken wir auf die Erdgeschichte, so ist diese davon geprägt, dass Arten entstehen und auch wieder vom Planeten verschwinden. Der Mensch konnte sich bis jetzt behaupten. Nur wie lange noch?

(Kleiner Exkurs: An dieser Stelle empfiehlt der Autor dieser Zeilen einmal mehr "Die Ringe des Saturns" von W.G.Sebald, ein halbdokumentarischer Roman, bei dem der Schriftsteller eine Wallfahrt durch die englische Grafschaft Suffolk unternimmt und anhand dortiger hinterlassener Spuren das ständige Werden und Vergehen der Weltgeschichte rekonstruiert)

Das Album spielt mit diesen Gedanken, in dem er im Booklet über den Text zu "Silent Runner" eine fikitve Schlagzeile der New York Times aus dem Jahre 2031 zitiert. Dort soll eine "unvorstellbare Anziehungskraft die gesamte Galaxie in die entgegegesetzte Richtung" ziehen. Darunter prangend: ein Zitat Newtons, der sich bereits vor über 300 Jahren die Frage stellte, was einst die Planeten in Bewegung setzte.

Doch schon zu Beginn macht Near Earth Orbit klar, wer für das Ende der Menschheit verantwortlich sein wird: "The Doomsday Machine is the human race" grölt Artaud in "The Long Loud Silence" - wir selbst sind die Verursacher. Die Erkenntnis ist nicht überraschend, die Umsetzung der Dystopie jedoch sucht seines Gleichen.

Für die letzten Tage vor dem Jüngsten Gericht sind klassische Stile obsolet geworden. Also schmeißt er alles, was nach Apokalypse klingt, in einen großen Mixer: unheilschwangere Synthieflächen, brodelnde Bässe, niederschmetterndes Schlagwerk, harte Riffs und jede Menge elektronische Effekte, die dem Album einen düsteren Futurismus verleihen. "Echoes Of The Future" klingt wie die "Matrix"-Trilogie, bei dem aber die Maschinen am Ende doch die Oberhand behalten und die Menschen zu ewiger Knechtschaft zwingen. Durch das ansprechend sinistr

Artaud hat mit "Echoes Of The Future" eine dystopische Elegie mit dem Anspruch eines wagnerianischen Gesamtkunstwerks geschaffen, was sich nicht nur im feinen Artwork zur Platte niederschlägt: Zu den Songs "Silent Runner", "Hypersonic Asylum" und dem Titelstück sind zudem noch cineastische Videos gedreht worden, die einmal mehr den hohen qualitativen Anspruch von NEO belegen. Die Apokalypse wird hier zu einer - höchst beängstigenden - Achterbahnfahrt, die gleichzeitig die Geschichte von Gothic-Rock und künstlerischer Umsetzung endzeitlicher Themen und philosophischer Grundfragen auf ein neues Level hieft. Artaud Seth bleibt eine Ausnahmeerscheinung.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 26.05.23 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 10/23>

Webseite:
www.solarlodge.de/ALPHAVOX-1/de
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