8/22: ORIOM, B.ASHRA, KLANGWELT, N - VON TRANCE BIS TRANSZENDENZ - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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8/22: ORIOM, B.ASHRA, KLANGWELT, N - VON TRANCE BIS TRANSZENDENZ

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2022
Seine Reputation als kreativer Alternativkopf hat Rainer von Vielen mit seiner gleichnamigen Band sich längst erspielt. Mittlerweile zieht es den Mittvierziger zu immer extravaganteren Soundscapes hin, die er mit seinem markanten Kehlkopf- und Obertongesang zu veredeln sucht. Als Oriom debütierte er vergangenes Jahr mit dem entspannten Album "Healing Source". "Roots Of Deliverance" knüpft konzeptuell daran an: Wieder stehen die Umlaufbahnen der Planeten als Ausgangspunkt für die Songs. Durch kosmische Oktavierung werden die Schwingungen der Planeten in Töne umgewandelt. Rainer von Vielen variiert aber dieses Mal die musikalische Ausrichtung und lädt zum Tanz mit dem Universum ein. Hauptsächlich von Vierviertelbeats getragen, angereichert mit Ethno-, Dub- und Tranceelementen, sind Stücke entstanden, die mehr sein wollen als nährstoffarmes Clubfutter. "Roots Of Deliverance" sieht in der durch Musik induzierten Bewegung des Körpers die Möglichkeit der allumfassenden Transzendenz - mögliche Erleuchtung nicht ausgeschlossen. In Orioms Kompositionen glaubt man bisweilen, der Natur näher zu kommen, als es jede "Baumdusche" verspricht. Eigentlich ein Widerspruch in sich: Die moderne Musiktechnik ermöglicht dem Hörer eine Verbindung zur Natur. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob die Stücke den archaischen Tanzritus provozieren wollen ("Earth, Light & Waves", "Mars Masala") oder eher dem tiefenentspannten Wippen zugetan sind ("Sun Šamaš", "Chukwa"). Wichtig ist nur, dass alles in Schwingung gerät und der Hörer sich von diesen Vibes tragen lässt. Ein ganzheitliches Album, wie geschaffen für eine außerkörperliche Erfahrung - ganz ohne illegale Substanzen.

Stilistisch gar nicht so weit entfernt von Oriom ist B.Ashra, den wir schon des öfteren bei uns zu Gast haben. Bert Olke, dem auch das Label Klangwirkstoff (auf dem Oriom beheimatet ist) gehört, widmet seine Kunst der Klangforschung im Rahmen der kosmischen Oktave. In der Regel fallen seine Alben sehr tiefenentspannt und fließend aus. Doch in frühen Jahren von der elektronischen Musik ganz allgemein sozialisiert, sind auch Ausflüge in andere Gefilde keine Seltenheit. So ist das neueste Album "Fluffy Spirals", mittlerweile sein 16., ein durchaus tanzbares geworden. Das Album ertastet mit schwebenden Sequenzen die Weite des Raumes, die treibenden Beats sind der Warpantrieb seiner musikalischen Visionen. In "Open The Door" wabern die Melodielinien wie sanfte Wellen auf und ab, während die straighte Bassdrum den Hörer immer stärker in ihren Sog zieht. Zwar gibt der Opener "Rosetta Is Calling" die geistige Marschrichtung vor - basierend auf der Weltraumsonde gleichen Namens, die zwischen 2004 und 2016 unter anderem verschiedene Kometen erforschte - und taucht in spacige Ambient-Phantasien ein, nimmt aber bei "Star Buds" die Schwingungen des THC-Moleküls als Grundlage. "Fluffy Spirals" gleitet durch die Gehörgänge wie ein heißes Messer durch Butter und eröffnet nicht nur den Blick hinauf zu den Sternen, sondern erlaubt einem bei konzentriertem Hinhören auch, seinen inneren Kosmos zu erkunden. Denn was das große Ganze zusammenhält, lässt sich auch auf das Individuum runterbrechen, das, wie das Universum selbst, ein wundersames Zusammenspiel vieler einzelner Teile ist.


Sich den Namen Klangwelt zu geben, ist auch eine klare Ansage. Mastermind Gerald Arend sucht das epische Moment in der Musik. Und er findet sie auf seinem fünften Album "Here And Why". Zwar ist der Mann ebenfalls in der elektronischen Musik zu Hause, doch sein Spiel mit diesem Genre ist ein ganz anderes. Mal lässt er wie in "Cold War Child" Sprach- und Geräuschfetzen mit frostigen Beats und Sequenzen aufeinander los, mal taucht er in tröpfelnde Pianolinien mit Mellotron-Chöre ab ("Corium"). Und in "Futurist" manifestieren sich in den kaskadenartigen Synthielinien die grundlegenden Ideen eines Jean-Michel Jarre. Schließlich darf auch Kraftwerk als Inspirationsquelle nicht fehlen. Sie äußert sich im markanten Einsatz des Vocoders bei "Information". Die cineastischen Visionen, welche Klangwelt am deutlichsten definieren, finden sich in "Propaganda" und "Attic". Vor allem letzteres kommt wunderbar getragen und von majestätischer Dunkelheit umflort daher. Gerald Arend hat es geschafft, sich verschiedener bekannter Meister zu bedienen, ohne sie aber nur uninspiriert wiederzugeben. Seine Verweise sind knapp gehalten und lediglich der Stein des Anstoßes, um ein neues Bild zu erschaffen, das Klangwelt als Elektronik-Act ausmacht und aus der Masse herausstechen lässt. Denn in "Here And Why" wechseln sich Licht und Schatten ab. Verfechter melancholischer Elektronik werden sich hier ebenso wiederfinden wie jene, die in den weichen Soundscapes einen Moment der Ruhe zu finden hoffen. Trotz dieser sehr unterschiedlichen Wege, die auf "Here And Why" beschritten werden, ist das Album als ganzes schlüssig und uneingeschränkt empfehlenswert.

Zum Abschluss fahren wir die Elektronik auf ein Minimum herunter und sind beim Projekt N angelangt. "Vielank/Woosmer" ist ein Zwei-Song-Album, bestehend aus Zwanzigminütern, die live eingespielt und ohne Korrekturen oder Overdubs abgemischt und auf Tonträger (in dem Fall Kassette) gebannt wurden. N bricht die Wirkung der Musik auf ihre kleinsten Elemente runter: In seinen Stücken beherrschen nur breite Flächen das musikalische Geschehen. Diese teilt er in eine Bass- und eine Höhenlinie auf, die den Raum maximal ausfüllen und sich teilweise begegnen und wieder auseinanderdriften. Kleine Pausen geben den Stücken Luft und schlagen gleichzeitig einen Spannungsbogen, welche den Kompositionen trotz ihrer Länge und ihres Minimalismus interessant macht. In manchen Augenblicken wirken die Songs fast schon sakral und könnten auch einer meditiativen Andacht zu Pass kommen. "Vielank/Wooster" ist ein definitives Kopfhöreralbum, dessen hypnotische Wirkung sich dann entfafltet, wenn alle anderen Umweltgeräusche auf ein Minimum reduziert werden. Nicht unerwähnt lassen sollte man, dass N auf dem neu gegründeten Label Momentarily Records erschienen ist, eine ideologisch spannende Plattenfirma, die Alben nur digital oder auf Kassette vertreibt, auf soziale Medien verzichtet und auf die klassische Mudpropaganda setzt. Das Album kommt in einer sehr aufwändig gestalteten Holzbox daher, die das haptische Moment noch einmal hervorhebt. Im Hinblick auf die nahenden Weihnachtstage wäre das sicherlich ein außergewöhnliches Präsent. Aber auch sonst sollte man Momentarily Records in den kommenden Jahren auf dem Schirm haben. Da bahnt sich eine kleine Sensation an.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 12.12.22 | KONTAKT | WEITER: VLIMMER VS. SUIR VS. THE SECRET FRENCH POSTCARDS>

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