GRGR "QUARANTÄNE" VS. ALTAR OF ERIS "ISOLATION": LIEDER IN ZEITEN DER CORONA
Wohl dem, der nicht am fiesen Corona-Virus erkrankt ist und sich weiterhin eingeschränkt frei bewegen kann. GrGr aus München hat es anders erlebt. Der Musiker musste zusammen mit einen Freund in Quarantäne. Doch Trübsal blasen is' nich'. Kurzerhand hat er in MacGyver-Manier aus den ihm zur Verfügung stehenden Gerätschaften - zwei Game Boys, einem Audiointerface und einem Smartphone - einfach mal ein paar Songs kreiert.
GrGrs Vorliebe für den körnigen 8-Bit-Sound stellt er seit geraumer Zeit zur Schau. "Warten" beispielsweise zieht seit seiner Veröffentlichung von vor zwei Jahren bedächtig sein Kreise und gewinnt immer mehr Zuhörer. Die EP "Quarantäne", die übrigens als streng limitierte Musikkassette über Zweihorn Records vertrieben wird, lebt vom spürbar heruntergefahrenen Equipment. Denn eigentlich packt der Musiker gerne auch mal ein bisschen Gitarrensound in seine Kompositionen, was ihn in die Nähe zu den legendären Perlen bringt. Dieses Mal ist die Sachlage jedoch eine andere.
Die vier Songs "Corona", "Lockdown", "Insomnia" und "Shave Your Head" konzentrieren sich voll und ganz auf eine tanzbare Elektronik, geprägt von basslastigen Sägesynthies und explodierenden Four-On-The-Floor-Beats. Mit dieser zwangsweise Reduzierung des Arrangements kommt GrGr mehr als gut klar. Tatsächlich schaffen es alle vier Songs, sich stilistisch irgendwo zwischen QEK Junior und Welle:Erdball einzunisten und damit eine weitere Facette seines Könnens zu präsentieren.
Wie schwierig oder nervenzehrend die Quarantäne für den Musiker auch gewesen ist, "Quarantäne" vermittelt nichts davon. Eher scheint sich in diesen wunderbaren Songs (vor allem "Shave Your Head" ist Nintendo-Rave der ersten Güteklasse) eine unbändige Lebensfreude zu manifestieren, die uns positiv in Richtung Zukunft blicken lässt, wenn eines Tages dieses Jahr nur noch eine Fußnote der Geschichte sein wird.
In Isolation haben sich die Musiker von Altar of Eris zwar nicht begeben müssen, aber ihre EP "Isolation" klingt gerade so, als seien sie irgendwo in den dunkelsten Kellerverliesen eingesperrt und dazu verdonnert worden, Lieder zu komponieren. Denn die sechs Stücke sind so hoffnungslos und deprimierend, dass es jedem Berufsmelancholiker sofort das Wasser in die Augen schießen lässt - vor Freude, versteht sich.
Schließlich hat die "Gothic-Szene" auch schon ihre ca. 40 Jahre auf dem Buckel, und "Isolation" mutet wie ein verschollenes Meisterwerk einer unbekannten Band aus dieser Zeit an. Kurz gesagt: Anachronismus ist das Hauptstilmittel bei Altar Of Eris, die übrigens ihre EP auch brav in Eigenregie eingespielt haben - und den DIY-Charakter ihrer Veröffentlichung genüssliche pflegen. So bricht der letzte Song "Your Ghost" abrupt ab. Als ob das Kassettenband an diesem Punkt gerissen oder einfach zu Ende ist.
Und es tut gut, diese unbändige, rohe Kraft einer Band zu fühlen, die sicherlich ihre Meister The Cure oder Clan Of Xymox genauestens studiert haben, um am Ende aber dann doch ihre eigene Version nihilistischen Tübsinns in Noten zu gießen. Spröde Rhythmusprogramme, schaurige Synthielinien, brodelnde Bassläufe und dominante Gitarrenriffs bilden die Basis für dieses gelungene Unterfangen eines authentischen Wave-Sounds, der bei allen Rückgriffen auch immer für sich steht.
Dieser hat bei "Three-fold" und dem bereits genannten "Your Ghost" durchaus Potenzial, das schwarz bestrumpfte Tanzbein in Wallung zu bringen. Mit einer erfrischenden Selbstverständlichkeit grast das Dreiergespann auf bereits bestelltem Feld und geriert sich wie eine Dunkeltruppe aus den frühen 80ern. Dass dies funktioniert, liegt an der klaren Vorstellung ihrer Songs: redundant gehalten und damit auf Tance und Tiefenwirksamkeit ausgelegt, machen sie keinerlei Kompromisse für etwaige poppig veranlagte Schwarzkittelträger. Wer "Isolation" hört, fühlt regelrecht das Alleinsein.
Und wenn sich dann aber doch in absehbarer Zeit die Menschen wieder in Massen treffen und sich eine Normalität einstellt, von der einige hofften, sie würde in dieser Form nicht mehr möglich sein, so erinnern uns auch diese beiden Gruppen mit ihren kleinen musikalischen Beiträgen an eine Epoche, in der nichts mehr so war, wie es einmal gewesen ist.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 29.05.20 | KONTAKT | WEITER: IM GESPRÄCH - DAVID BOLDT UND MAREKE MÜLLER (AGENTUR OBEN)>
Webseite:
gr-gr.bandcamp.com
altaroferis.bandcamp.com
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COVER © ZWEIHORN RECORDS (GRGR), ALTAR OF ERIS
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