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BAUHAUS "THE BELA SESSION": ÜBER UNTOTE NUR GUTES

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Der 26. Januar 1979 war in allen Belangen relativ ereignisarm. Selbst Wikipedia vermag an diesem Tag keine besonderen Vorkomnisse in seiner elektronischen Enzyklopädie festzuhalten.

Northampton dürfte an jenem Freitag sicherlich auch nicht viel spannendes geboten haben. Während also das Leben so seine Wege ging und die Menschen in diesem englischen Städtchen ihren alltäglichen Dinge verrichteten, haben vier junge Männer den Entschluss gefasst, sich in ein Studio zu verschanzen und die Popmusik-Historie um ein weiteres Kapitel zu bereichern.

Ob sie es damals schon wussten, dass sie das subkulturelle Musikverständnis auf Jahre hinaus neu definieren würden? Jedenfalls waren Sänger Peter Murphy, Gitarrist Daniel Ash, Bassist David J und Schlagzeuger Kevin Haskins von der allgemeinen Umbruchstimmung des Punk-Rock getrieben, jedoch wesentlich experimenteller im Umgang mit den Stilmitteln - und dann haben sie da noch in einem Take "Bela Lugosi's Dead" aufgenommen. Es sollte alles andere überstrahlen.

Denn wie die Wiederveröffentlichung zum 40. Bandjubiläum klar aufzeigt, war bei Bauhaus am Anfang gar nicht alles so untot, wie es den Anschein hatte. Tatsächlich wäre das Quartett vielleicht bloß als eine weitere, durchaus nicht untalentierte, New-Wave-Combo durchgewunken worden. Das bislang unveröffentlichte "Some Faces" beispielsweise zeigt sich deutlich beeinflusst vom 60s-Beat, wohingegen "Harry" unüberhörbar mit Ska und Dub liebäugelt, und "Boys" versucht, dem großen Bowie irgendwie beizukommen. Nur "Bite My Hip" lässt den zukünftigen, sinistren Werdegang von Bauhaus schon erahnen.

Vielleicht wäre also diese erste Aufnahmesession nur eine kleine Randnotiz im großen New-Wave- und Post-Punk-Zirkus gewesen, ihre Songs heutzutage lediglich in tiefgründigeren Kompendien, die sich mit dieser Epoche auseinanderzusetzen versuchen, nochmals präsentiert worden. Doch wie sagte schon der große Philosoph Lothar Matthäus: "Wäre, wäre, Fahradkette". Welche Wege Bauhaus auch immer hätten einschlagen können, sie haben sich letztlich für den entschieden, der sie in die popkulturelle Unsterblichkeit führen sollte, obgleich "Bela Lugosi's Dead" auch ein Wagnis war.

Mit Neun Minuten Laufzeit sprengten sie das damals übliche Song-Korsett aus zwei bis drei Minuten deutlich und lehnten sich damit eher an die verhassten Bombast-Rocker aus dieser Dekade an. Allerdings, und das war die nächste Ungeheuerlichkeit, füllten Bauhaus diese neun Minuten nur sehr spartanisch mit eingen wenigen Akkorden aus, die sie scheinbar frisch aus der Grabesstätte des weltbekannten Stummfilmmimen entnommen haben könnten.


So eine Nummer kann schnell in Belanglosigkeit abdriften. Dass dies nicht geschieht, liegt am eigentlichen Star in diesem instrumentellen Gemengelage: dem Schlagzeug. Der überpräsent klapprige Rhythmus baut sich bereits zu Beginn auf und wird mit der mechanischen Präzision eines Schweizer Uhrwerks das ganze Stück über aufrecht gehalten.

Psychedelisch intendierte Halleffekte auf Drums und Gitarre verschieben die Realität weiter in eine somnambule Stimmung, die im Zusammenspiel mit Murphys trockenem, bisweilen fast schon tonlos wirkendem Gesang eigentlich auf die Stimmung der expressionistischen Stummfilme deutschen Gepräges referieren wollte (schließlich waren die Jungs allesamt Kunststudenten und besaßen dadurch den kunstgeschichtlichen Background). Am Ende wurde es der Soundtrack einer weltabgewandten, nihilistischen Jugend, die sich in sterbender Schönheit zeigte und mit stilisierter Todessehnsucht all diejenigen zu überzeugen versuchte, denen Punk zu proletarisch, Wave zu überintellektuell und Pop zu oberflächlich ist.


Der zwischenweltliche Bela indes hat nie die Verkaufscharts geentert, mäanderte aber recht viril in den englischen Independent-Charts über mehrere Jahre umher. Ihn jetzt noch einmal, natürlich digital aufpoliert, zu hören, macht auch deutlich, dass der einstige Geist des Gothic sich doch bereits arg verflüchtigt hat und nur noch üppig arrangierter Gruselquatsch mit Fantasy-Geschwurbel Lugosis Platz eingenommen hat.

Doch das ist das schöne an so einem Untoten: Er wandelt weiter auf Erden und wird uns regelmäßig mit seiner Präsenz beehren. Im Fall von "Bela Lugosi's Dead" etwas, worüber man sich nicht zu fürchten braucht.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 11.12.2018 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 12/18>


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Cover © PIAS UK/Stones Throw/Rough Trade

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