LMX "REHAB" VS. NOROMAKINA "INSOMNIA": WOW-EFFEKTE - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

Direkt zum Seiteninhalt

LMX "REHAB" VS. NOROMAKINA "INSOMNIA": WOW-EFFEKTE

Kling & Klang > REVIEWS TONTRÄGER > L > LMX
Gut, André Schmechta steht sicherlich nicht im Blitzgewitter auf roten Teppichen. Seinen Einfluss auf die Elektronische Körpermusik ist aber nicht zu unterschätzen. Vor allem in den 1990ern gehörte er mit seinem Projekt X-Marks The Pedwalk zur Frontlinie der harten musikalischen Gangart. Was kann man also als Sohn dieses nicht unbekannten Musikers machen, um sich von ihm zu lösen? Sicher nicht auch Musik machen. Genau das macht er aber. Und er macht es verdammt gut.

Als LMX veröffentlicht der junge Mann seit 2019 regelmäßig Alben. Jedes Werk dokumentiert gleichzeitig die künstlerischen Weiterentwicklung des Adoleszenten. War das Debüt "Dimension Shift" ein (rein instrumentales) Eruieren der klanglichen Möglichkeiten, kam bei "Ctrl+S" Gesangsspuren dazu, die noch in tieferen Stimmlagen beheimatet waren und dem Sounddesign einen dunklen Anstrich verliehen. Hier und auch beim Nachfolger "Habits & Addiction" suchte der Mann nach einer besonderen Ausdrucksmöglichkeit. Jetzt, mit "Rehab", scheint er seinen Stil gefunden haben.

Die tanzbaren und auch härteren elektronischen Elemente hat LMX komplett drangegeben. Es dominieren nun sphärische, melancholische Flächen, die sich mit einem extrem gefühlvollen Gesang, bei dem sogar ein Vocoder nicht als störend empfunden wird, paaren. "Rehab" ist eine sehr intime Platte geworden, bei dem wir das erste Mal Schmechta junior sehr emotional, ja, geradezu verletzlich wahrnehmen.

Stücke wie "Delusional" und "Made To Lose" wirken wie eine sehr intensive Auseinandersetzung des jungen Musikers mit dem Leben. Wie es im Klappentext auf seiner Bandcamp-Seite heißt, versucht LMX, die Diskrepanz zwischen Moral und Religion zu verstehen. Damit ist er auch ganz nah bei einer Band, die man eigentlich gar nicht erwähnen möchte, um falsche Erwartungen zu schüren: Depeche Mode. Denn LMX klingen nur bedingt nach ihnen. Allerdings besitzen die Songs eine derart emotionale wie kompositorische Tiefe, dass man "Rehab" als LMXs "Black Celebration" bezeichnen kann.

Ob dieses, acht Songs kurze, Album tatsächlich der Sound ist, welcher LMX zukünftig auszeichnet, wird sich weisen. Im Moment steht dieses Werk aber als das reifste und beste seiner noch jungen Karriere. Papa dürfte stolz sein.

Elektronische Musik hat seine Hotspots. Deutschland zählt da zweifelsohne dazu, England natürlich auch. Belgien ist seit New Beat ebenfalls fest verankert auf der Landkarte, und in den skandinavischen Territorien, vor allem Schweden, hat Synthie-Pop spannende Häutungen durchlaufen. Natürlich gibt es auch im resteuropäischen Raum einige bekannte Bands. Amerika braucht sich diesbezüglich ebenfalls nicht zu verstecken, obgleich Maschinenklang nicht wirklich zu deren Kernkompetenz gehört.

Kolumbien gehörte bislang noch nicht dazu. Doch das ändert sich. Der Grund: Noromakina, ein Solo-Projekt des Musikers Juan Manuel alias Mel Zb. Dieser hat sich drangemacht, seine Idee einer tanzbaren, pulsierenden Musik zwischen Coldwave, EBM und Postpunk zu realisieren. Bereits ihre erste Veröffentlichung "Despair" ließ aufgrund seiner zwar antiquierten, aber dennoch provokanten Sounds aufhorchen. Mit dem ersten Album "Vile Vortex" arbeitete sich Mel noch an klassischen EBM-Strukturen und Cold-Wave-Manierismen ab, ließ da aber schon durchscheinen, dass dies noch nicht das Ende der stilistischen Fahnenstange ist.

Zwei Jahre später nun bringt Noromakina mit "Insomnia" ein Werk heraus, das an einigen Momenten sogar bahnbrechend ist. Der Mann aus Bogotá hat jede überflüssige musikalische Girlande weggelassen und konzentriert sich auf brodelnde Basslinien, die er mit reduzierten Melodien und leicht angezerrten, dunklen Vocals kreuzt. Am Ende steht "Insomnia" den Prinzipien des Dark Disco, wie sie vor allem Local Suicide momentan exemplarisch komponieren, sehr nahe.

Allerdings sympathisiert Noromakina noch stärker mit hartem, muskulösen Electro, wie man bei "Parasitos" und "Cursed" heraushören kann. Dabei besitzt aber die Kunst der Reduktion immer Vorrang. Diese hat der Kolumbianer mittlerweile zur Perfektion vorangetrieben. Über die pumpenden Beats zitiert er andere Sparten elektronischer Klangerzeugung nur an. "Fragmental" spielt wie nebenbei mit Italo-Disco-Versatzstücken, während bei "Dopamine" und "Gravitate" seine Liebe für klassischen Cold Wave durchschimmert.

"Insomnia" gleicht einem Soundtrack für Düsterdiskotheken, die inmitten von Industrieruinen stehen. Es wirkt alles sehr kalt, sehr mechanisch, aber auch sehr lasziv und schweißtreibend. Obwohl die Songs allesamt auf marschierende Four-On-The-Floor-Beats basieren, entsteht nicht einen Moment Langeweile. Denn über den Disco-Rhythmus entspannt sich jedes Mal ein neues Soundgewand. Uneingeschränkt großes Tennis.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 24.09.24 | KONTAKT | WEITER: STEINWOLKE "GLÜCK AUS GLAS">

Webseite:

Kurze Info in eigener Sache
Alle Texte werden Dir kostenfrei in einer leserfreundlichen Umgebung ohne blinkende Banner, alles blockierende Werbe-Popups oder gar unseriöse Speicherung Deiner persönlichen Daten zur Verfügung gestellt.
Wenn Dir unsere Arbeit gefällt und Du etwas für dieses kurzweilige Lesevergnügen zurückgeben möchtest, kannst Du Folgendes tun:
Druck' diesen Artikel aus, reich' ihn weiter - oder verbreite den Link zum Text ganz modern über das weltweite Netz.
Alleine können wir wenig verändern; gemeinsam jedoch sehr viel.
Wir bedanken uns für jede Unterstützung!
Unabhängige Medien sind nicht nur denkbar, sondern auch möglich.
Deine UNTER-TON Redaktion


POP-SHOPPING










Du möchtest diese CD (oder einen anderen Artikel Deiner Wahl) online bestellen? Über den oben stehenden Link kommst Du auf die Amazon.de-Seite - und wir erhalten über das Partner-Programm eine kleine Provision, mit der wir einen Bruchteil der laufenden Kosten für UNTER.TON decken können. Es kostet Dich keinen Cent extra - und ändert nichts an der Tatsache, dass wir ein unabhängiges Magazin sind, das für seine Inhalte und Meinungen keine finanziellen Zuwendungen von Dritten Personen bekommt. Mit Deiner aktiven Unterstützung leistest Du einen winzig kleinen, aber dennoch feinen Beitrag zum Erhalt dieser Seite - ganz einfach und nebenbei - für den wir natürlich außerordentlich dankbar sind.

COVER © MESHWORK/AL!VE

ANDERE ARTIKEL AUF UNTER.TON

Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.



                                                     © ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
Zurück zum Seiteninhalt