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7/21: LMX, SECRET OF ELEMENTS, ORIOM, NOVOCIBIRSK, ROBERT SCHROEDER - ALTE UND NEUE MEISTER

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2021

Gute Musik zu produzieren ist sicherlich keine Frage des Alters. Vielmehr steht die Frage im Raum, welche Idee man mit seinen Kompositionen transportieren will.

Bei LMX ist diese schon deutlich zu sehen. Bereits sein Debüt-Album "Dimension Shift" verwurzelte sich in düsterlicher Elektronik mit Trance-, Synthwave- und EBM-Anleihen. Das war 2019, LMX war da gerade erst zarte 15 Jahre. Nun bringt er noch vor seiner Volljährigkeit sein neuestes Album "CTRL+S"heraus. Da kann man gerne mal den Begriff des Wunderkinds bemühen, denn zwischen den beiden Alben hat sich LMX noch mal gesteigert. Die kompositorische Klarheit, seiner Songs lassen den Vorgänger wie eine kleine Fingerübung erscheinen, die das eigentlich Talent des Teenagers nur angedeutet hat. LMX erschafft mit seinem Sound Räume von eisiger Kälte, die jetzt auch teilweise von LMX gesanglich unterstützt wird. Als Sohn des Musikers Sevren Ni-Arb, der mit seinem Projekt X Marks The Pedwalk mindestens genauso stark den Drang verspürt hatte, die elektronische Musik neu zu denken, legt sich LMX nicht ins gemachte Nest, sondern sucht seine eigenen expressiven Mitteln. So vereint beispielsweise "Pernicious" oder "Shellshock" moderne Hörgewohnheiten mit tradierten Formen melodiebasierter Elektronik. "CTRL+S", das natürlich auf die Tastenkombination zum Speichern von Texten oder ähnlichem auf dem Computer verweist, befasst sich mit den flüchtigen Momenten im Leben, die man gerne aufbwahren möchte. Gerade in diesen Zeiten, wo solche erinnerungswürdigen Momente sehr rar gesät sind, ein wichtiger, in wunderbarer Musik gegossener Gedanke.

Und wie viele Momente hat der Rostocker Musiker und Komponist Johann Pätzold, der übrigens doppelt so alt wie LMX ist, erlebt - sowohl gute als auch schlimme. Am vermeintlichen Tiefpunkt seines Lebens und der Einweisung in eine Psychiatrie nach einem Nervenzusammenbruch, arbeitete er dort an seinem ersten Secret Of Elements-Album "Minds". Während der Flüchtlingskrise unterstützte er Helfer im Mittelmeer und rettete Leben. Und er "fand die Liebe und verlor sie wieder", wie es im Beipackzettel zum Album "Chronos" heißt. Der Titel seines atemberaubenden, neoklassizistischen Albums bezieht sich auf den antiken Gott der Zeit - oder besser gesagt: der Lebenszeit. In der Kunst als Gestalt mit Sichel und Stundenglas dargestellt, birgt seine Erscheinung etwas zutief Melancholisches. Und so wirken auch die Songs auf diesem Album bedächtig und von einem Weltschmerz durchzogen, hinter dem man den Komponisten selbst vermuten kann, der mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen scheint. Der Autodidakt am Klavier setzt dabei elektronische Musik und klassische Orchestrierung in Beziehung und spielt mit ihren Gewichtungen. Je nach dem werden die Stücke romantisch überhöht ("A Last Waltz"), cineastisch ausgebreitet ("Astral") oder stoßen kosmische Räume auf ("Cassini"). Pätzold präzisiert auf diesem Werk einmal mehr sein Talent als Zusammenbringer verschiedener musikalischer Stile. Das Resultat ist eine wunderbare Reise durch magische Klanglandschaften.

In selbige entführt uns auch das Projekt Oriom. Dahinter steckt kein geringerer als Rainer Von Vielen, mit einer der schlauesten Köpfe im Bereich alternativer Musik. Seine Songs wie "Empört Euch" oder "Grosser Bla" besitzen nicht nur jede Menge Wortwitz, sondern zeigen den Mittvierziger aus Kempten als Virtuosen im Obertongesang. Als Oriom stellt er diesen nun in den Mittelpunkt seiner Bemühungen, ernennt ihn zur "Healing Source", zur Heilquelle für den gestressten Menschen. Es ist scheinbar ein Herzensprojekt des Musikers, der mehrere Jahre an den Songs gefeilt hat, bis sie endlich zusammen auf einen Tonträger in die Welt entlassen werden konnten. Es musste erst eine Pandemie und der damit verbundene Lockdown eintreten, damit er sein Debüt endlich abschließen konnte. Oriom steht dabei ganz im Dienst der kosmischen Oktave, setzt die Stücke zum Verhältnis der Schwingungen von beispielsweise dem Mars, der Sonne oder Erde. Fernab von jeglichem Räucherkerzen-New-Age-Gedödel will Oriom wirklich seine Mitte finden, und seine Musik soll uns die Reise in unserer eignenes Inneres erleichtern. Die wie improvisiert wirkenden Gesänge, die bedachten Klänge aus den Synthesizern: All das ist kein Zufall, sondern die tiefergehende Auseinandersetzung mit der Welt und der Kraft der Musik. Spätestens nach der 28-minütigen Meditation "Slom Ocean" beginnt man zu begreifen, welche Kraft diese Töne und Harmonien zu entfalten vermag. "Healing Source" ist mehr als die Summe seiner Teile.


Geht es um Pionierarbeit in Sachen populärer Musik elektronischer Provenienz, fallen einem natürlich Kraftwerk oder Jean Michel Jarre ein, Tangerine Dream oder Klaus Schulze. Der Name Novocibirsk wird aber nie in den Geschichtsbüchern auftauchen. Der Hintergrund ist etwas kurios: Hervé Isar, der Mann hinter diesem Projekt, hat seine Musik zwar in den 80ern in seinem Heimstudio erdacht, aber nie veröffentlicht. Es mussten fast 40 Jahre ins Land ziehen, ehe das Material als "Télévision 1945" durch das Label Production B zugänglich gemacht wurde. Wir lauschen hier einem besonderen Zeitdokument experimenteller Klangerzeugung. Hervé hat nämlich einen regelrechten Fuhrpark an Synthesizern und Sequenzern besessen, die er quasi interagieren ließ, indem er sie miteinander vernetzte. So etwas lässt sich heutzutage sicherlich ohne Probleme am Computer simulieren, damals war die Verbindung dieser Hardware sicherlich ein kleines Abenteuer. Dementsprechend hört man auch beim zweiten Teil von "Télévision 1945" den experimentellen DIY-Charakter deutlich heraus. Die Instrumentale, die in wenigen Momenten von vocoderbehafteten Gesang durchzogen wird, leben von minimal gehaltenen Sounds und Geräuschen, die so wunderbar unperfekt klingen. So wirken die Tonwechsel bei "Baïkal Depths" gerade so, als ob man das Band unterschiedlich schnell abgespielt hat und "Die Sonne Über Novocibirsk" erinnert an die dilettantische Einfachheit vom Debüt "Geri Reig" der NDW-Surrealisten von Der Plan. Hier wurde ein wahrer Schatz für Musiknerds gehoben. Hoffen wir auf weitere interessante Funde.

Als elektronischer Pop zu laufen begann, war da auch schon Robert Schroeder, der im Dunstkreis der Berliner Schule um Klaus Schulze mit frisierten Synthesizern nach einem eigenen Klang gesucht hat. Das Ergebnis seiner Bemühungen ist nicht nur eine treue Stammhörerschaft, sondern eine damit verbundene langlebige Karriere, die bis heute anhält und mit "Pyroclast" einen weiteren Meilenstein bereithält. Der Vorgänger "C'ést Magique" ist noch nicht ganz verklungen, da entführt uns der Klangfrickler aus Aachen erneut in seinen unaufgeregten Budenzauber. Dieses Mal stehen anscheinend vulkanische Prozesse im Vordergrund seiner tönernen Exkursionen. Doch trotz so "explosiv" klingender Titel wie "Pressure", "Eruption" und "Exothermic Energy", bleibt Schroeder seinem Stil treu, der stets die Kontemplation im Blick behält, selbst wenn wie im letztgenannten Stück der Musiker sich zu einem treibenden Vierviertelbeat hinreißen lässt. Vielmehr passen seine Nummern zu einem in Zeitlupe aufgenommenen Vulkanausbruch, der sowohl die zerstöererische Kraft dieses Natuerereignis, aber auch gleichzeitig seine einmalige Schönheit auffängt. "Pyroclast" besitzt bei allen technokratischen Ansätzen immer noch einen weltumspannenden, hippieesken "Love And Happiness"-Ansatz. Der Musiker materialisiert in seinen Kompositionen die vagen Vorstellungen von Glück und Harmonie. Während andere seines Jahrgangs (1955) sich langsam auf ihr Altenteil vorbereiten, ist er immer noch ein neugierig Suchender - und damit Inspiration für alle Generationen nach ihm.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 09.04.21 | KONTAKT | WEITER: DELGRES VS. CHRISTINE SALEM>

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Webseiten:
lmxmusic.bandcamp.com
www.secretofelements.com
www.oriom.space
www.production-b.fr
www.news-music.de

Covers © Meshwork Music/Al!ve (LMX), Infine/Al!ve (Secret Of Elements), Klangwirkstoff (Oriom), Production B (Novocibirsk), Sphere Music (Robert Schroeder)

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