MICK HARVEY: DIE ALTEN WILDEN, TEIL II: COCKTAILS, KIPPEN UND KRAWALL- GESCHICHTEN ERZÄHLEN FÜR FORTGESCHRITTENE
Ist von Nick Cave & The Bad Seeds die Rede, liefert die Festplatte den Ton zum Bild gleich automatisch mit. Gewohnt düster, tobt plötzlich ein echtes Klanggewitter durch den Gehörgang – und brennt die Stimme des hageren Frontmannes in die tiefsten Tiefen unserer Seele ein. Cave durchlebt in seinen aufwühlenden Songs Trauer und Melancholie, wuchtet sich mit blutendem Herz durch Weltschmerz und Wahnsinn. Klar, dass sein Böses Saatgut dabei gern mal übersehen wird. Dabei gäbe es unter den Körnchen so einiges zu entdecken.
Zum Beispiel Blixa Bargeld, Abrissbirnen-Fetischist und Feind aller Einsturz-gefährdeten Neubauten, der in der australischen Formation den deutschen Wimpel hoch hält. Seine Musik allein ist genial – aber nichts gegen den putzigen Akzent, mit dem der gebürtige West-Berliner einige Cave-Songs ins Groteske rutschen lässt. Wer die alternative Version von "Where The Wild Roses Grow" nicht kennt, dem sei die Mörder-Ballade mit Nachdruck ans Herz gelegt. Blixa als Elisa Day? Ein echtes Klangerlebnis, bei dem man fast vergessen möchte, dass Nick Cave im Original mit Kylie Minogue das Mikro teilt.
Unser Lieblings-Samen ist aber Mick Harvey, dessen Genialität in der Berichterstattung über die Bad Seeds gerne mal übersehen wird. Vielleicht, weil der Australier in erster Linie dem großen Ganzen verpflichtet war – und sich als Phantom der extravaganten Truppe stets in eine Art Schattendasein zurückzog. Vielleicht aber auch, weil der Mittfünfziger es schlicht und ergreifend nicht nötig hat, sich in den vorderen Rängen zu produzieren. Den klanglichen Beweis für sein Talent ließ der Multi-Instrumentalist schon vor rund zwanzig Jahren vom Stapel: Die Alben "Intoxicated Man" und "Pink Elephants", eine Hommage an Serge Gainsbourg. Wer die zweiteilige Ode an das Enfant terrible bisher noch nicht in der Sammlung hatte, kann erleichtert durchatmen: Als Silberlinge kehren die Werke nämlich via Mute/GoodToGo in den Plattenhandel zurück.
Müßig wäre es an dieser Stelle, den Einfluss der jahrzehntelangen Kollaboration mit Nick Cave auf Harveys Solo-Werke zu betonen. Dass Caves Muse, Anita Lane, die weiblichen Gesangsparts der Gainsbourg-Chansons übernimmt? Geschenkt. Auch die Gastmusiker, darunter Warren Ellis und (natürlich) Nick Cave himself, nennen wir zwar gern beim Namen – sollen bei der Besprechung allerdings nicht weiter ins Gewicht fallen. Denn wir würdigen in erster Linie Harveys Pionierarbeit: Den engagierten Einsatz für ein gleichsam verkanntes Genie, dessen Liedgut außerhalb der französischen Landesgrenzen leider nur wenig Beachtung fand.
Dann kam Mick Harvey, und riss die Grenzen ein. Dank seines Versuchs, die Gainsbourg-Songs ins Englische zu übertragen, wurde der Name des 1991 verstorbenen Musikers nicht mehr nur mit dem Kopulations-Schlager "Je t'aime...moi non plus" verknüpft. Die Persönlichkeit des kaputten Künstlers, gegen den extreme Charaktere wie Amy Winehouse im Rückblick harmlos wirkten, rückte in den Fokus. Von Selbstzweifeln zerfressen, soff sich Gainsbourg sukzessive in die Gosse, rauchte Kette – und absolvierte Auftritte in den späten Jahren meist volltrunken.
Ebenso provokant wie sein Auftreten: Die Songs des Franzosen, die Harvey als einer der ersten in die Weltsprache transferierte. Und zwar in all seiner Abgründigkeit und Radikalität. Auf dem Cover von "Intoxicated Man" zelebriert Harvey, damals Mitte 30, die Gainsbourg-Rolle: Die Arme ganz lässig auf den Flügel gestützt, scheint er die Welt nur mehr durch das milchige Glas seines Cocktail-Bechers zu betrachten – und wird so zu einer Art Sinnbild für das undurchsichtige Wesen Gainsbourgs, das sämtlichen Songs des Künstlers inne wohnt.
Die Cover-Versionen bleiben dabei stets dem Original verpflichtet. Eigene Ideen streut Harvey nur behutsam ein. Die Mischung aus psychedelisch angehauchtem 60er Jahre-Cocktail-Sound ("Intoxicated Man", "Harley Davidson"), verschwenderischen Kompositionen im Stile früher James-Bond-Titelsongs ("Ford Mustang") und plüschig-schwülem French-Pop ("Sexshop", "Lemon Incest") behält der Australier bei und pflanzt die Klänge lediglich in die Gegenwart um. Was bei Gainsbourg-Stücken nicht sonderlich schwer fällt. Schließlich bestechen die Kompositionen des Enfant terrible seit jeher durch ihr zeitloses Naturell.
Was an anderer Stelle als Mangel an eigenen Einfällen auszulegen wäre, hat bei Mick Harvey Programm. Seine detailgetreue Wiedergabe dient einzig und allein der Pflege und Erhaltung von Gainsbourgs Oeuvre, das auf diese Art und Weise den internationalen Markt erobern konnte. Heute weiß man endlich zu schätzen, das Harvey mit seinen Solo-Alben eine Pionierarbeit von unschätzbarem Wert geleistet hat.
Rund 20 Jahre und jede Menge Auszeichnungen später, ist der Mann aus Down Under wieder da. Und zwar mit einem ehrgeizigen Projekt, das in Dortmund seinen Anfang nahm. Zusammen mit Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten, Danielle de Picciotto, Mitglied bei Crime & The City Solution, sowie Paul Wallfisch, musikalischer Leiter des Schauspiels Dortmund, steht er heute unter dem Namen Ministry Of Wolves auf der Bühne. Anlass dafür: Das Theaterstück "Republik der Wölfe", welches am 15. Februar dieses Jahres in der Ruhrstadt Premiere feierte.
Der Untertitel des Bühnenspiels lautet "ein Märchen-Massaker" und trifft dabei den Nagel auf den Kopf: Hier geht es schließlich um die Erzählungen der Gebrüder Grimm; seit jeher ein Kompendium aus Folter-Facetten, düsteren Mord- und Überfällen und Kannibalismus. Collagenartig schraubt das Spektakel die Protagonisten des Grimm'schen Kosmos in die urbane Jetzt-Zeit, während Harvey und Co. das Geschehen musikalisch untermalen. Klar, dass da sämtliche Niedlichkeiten und Happy Ends keine Chance mehr haben.
Die Songs erinnern übrigens stark an Harveys Zeit bei den Bad Seeds: In "Rumpelstilzkin" beispielsweise treiben kreischende Orgeltöne und das ewig wiederkehrende Piano-Thema den Hörer gemeinsam mit dem durchgeknallten Gnom in den Wahnsinn, während mit ruhigen, eher dunklen Tönen in "Hänsel & Gretel" oder "Snow White" die unterschwelligen Botschaften der Märchen ausgearbeitet werden. Eine trügerische Idylle, die das Cover da mit seinem Holzschnitt verspricht...
Er ist zurück, der geniale Geschichtenerzähler Harvey, der mit verrauchtem Bass die Abgründe der Märchen offen legt und gleichzeitig begreifbar macht, dass diese Welt der Sagen auch immer Sinnbild für die Abgründe der Gesellschaft ist. Alles, was der Mensch seiner eigenen Spezies je an Grausamkeiten und Verbrechen angetan hat: In Grimms Kinder- und Hausmärchen sind sie alle versammelt. Harvey und den anderen Mitgliedern des Ministry Of Wolves ist es zu verdanken, dass wir die Erzählungen wieder als das wahrnehmen, was sie ursprünglich mal sein sollten: Düstere, strenge Moralgleichnisse. In Zeiten anti-autoritärer Erziehungsmethoden und gemeingefährlicher Kindereinkaufswagen, die heimische Supermärkte in eine nervtötende Gefahrenzone verwandeln, eine heilsame Alternative – sei es nur, um die Rambo-Sprösslinge von ihren zur Entdeckungstour verklärten Ego-Trips abzuhalten. Früher war eben nicht alles schlecht.
|| AUTOR: BISSINGER/DRESSLER // DATUM: 21.04.2014 ||
BILDQUELLE: © MUTE/GOODTOGO
Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden die teils farbigen Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst.
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