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NICK HUDSON "KANDA TEENAGE HONEY": ES IST KOMPLIZIERT

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"Bardo" ist der Schuldige! Dieses vermaledeite, achtminütige Pop-Gemetzel, das sich dem ganzen Album so querstellt wie ein Türsteher vor der Lieblingsdisco. Nach etwas undefinierbarem Soundgewaber setzen dröhnende Gitarren ein, die von einem amoklaufenden Schlagzeug unterstützt werden - eine dezibeltrunkenes Happening, das an die Songs von Swans erinnern. Nick übt sich hier noch in alertem Rufen. Dann kehrt er zurück zu seinem croonigen Sound, der "Kanda Teenage Honey" über weite Strecken dominiert. Schließlich bricht unvermittelt ein kakophoner Sound ein, der an Hardcore oder Speed-Metal erinnert, während Nick irgendetwas undefinierbares mit verzerrter Stimme ins Mikro gröhlt.

Dieser Klang gewordene Exorzismus ist der große Vorschlaghammer, den Nick Hudson die ganze Zeit bereitgestellt hat, um ihn im unerwarteten Moment auszupacken und damit alles zu zerstören, was er zuvor geschaffen hat. Denn bis zu diesem Zeitpunkt nahm sich das Album als ein wunderbares Pop-Kleinod aus, das von einer angenehmen Mitternächtlichkeit durchzogen ist, wie man es zuletzt bei solchen Acts wie Jungstötter finden konnte. Sowohl er wie auch Nick Hudson scheinen das gleiche Faible für Künstler wie David Sylvain und Scott Walker zu teilen.

Den Briten zeichnen vor allem zwei Merkmale aus: zum einen die Lust am Experiment, um Songs in ihrer Erwartbarkeit zu brechen und die tradierten Strophe-Refrain-Strophe-Schemata aufzulösen, zum anderen seine markante Stimme, die sich teilweise von der Klarheit und technischen Sicherheit eines Musical-Darstellers kaum noch unterscheidet. Ein Song wie "Hollow Man" wandelt mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen Rock-Gestus und Klavier-Nocturne; Nick intoniert mit gerade so viel Pathos, dass man seine Theatralik zwar wahrnimmt, sich aber von ihr nicht gestört fühlt. Gerade dieser Song klingt wie die Reinkarnation von David Bowie.

Für den größten Gänsehautmoment sorgt allerdings "Hachiko" (der womöglich vom gleichnamigen Film inspiriert wurde). Nick Hudson singt ohne instrumentelle Begleitung, sein Organ in einen dezenten Hall gepackt, mit einer beispiellosen Intensität, dass sich die Augen auf einmal heiß anfühlen und Tränen die Wangen runtergleiten. Schließlich wiegt uns noch einmal "Archipelago" in diese wohlige Künstlermelancholie.

Auch gegen Ende zeigt sich der queere Musiker als großer Gefühlszauberer. Seine Songs leben von einer immensen Spielfreude. Der Musiker bleibt sich dabei seiner Linie treu und versucht, den gängigen Hörerwartungen nicht zu entsprechen. Tatsächlich schafft er aber etwas anderes: Mit "Kanda Teenage Honey" begibt er sich in das weite Feld großartiger Underground-Entertainer, die ihre Instrumente beherrschen und auch das Talent besitzen, uns in diese leichte Traurigkeit zu versetzen, uns nostalgisch zu fühlen, obgleich man gar nicht genau weiß, warum man diesem Sentiment derart verfällt.

Und dann ist da eben noch "Bardo", dieser chaotische Song, der so gar nicht in das ganze Werk hineinpassen will. Vielleicht ist es wie bei Bertolt Brechts epischem Theater: Diese Nummer ist wie ein Verfremdungseffekt, der uns Hörer daran erinnert, dass wir uns einem Gefühl hingeben, das Hudson zu provozieren, aber auch wieder zu zerstören vermag. Durch diese, im wahrsten Sinne des Wortes, zentrale Nummer (das Lied wurde in die Mitte des Albums gesetzt) treten wir in Distanz zu unserer melancholisch empfundenen Stimmung. Es ist sicherlich kompliziert, was Nick Hudson uns präsentiert. Aber irgendwie kommt man von diesem Fintenspiel nicht ganz los. Mit  jedem weiteren Durchlauf wartet man sogar inständig auf diesen Hundling "Bardo".

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 19.03.24 | KONTAKT | WEITER: LOUISE LEMÓN "LIFETIME OF TEARS">

Webseite:
nickhudsonindustries.bandcamp.com

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COVER © NICK HUDSON

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