THYX: VON MENSCHEN UND MASCHINEN
Snowdens Offenbarungen, NSA-Spionage-Affäre, Facebook, Twitter...Wenn wir ehrlich sind, ist das Schreckensszenario des gläsernen Menschen längst gelebte Realität. Schlimm ist nur die Tatsache, dass es den meisten Menschen egal ist. Nicht aber Stefan Poiss. Der Chefdenker des Intelligent-Electro-Formation Mind.In.A.Box beschäftigt sich auf "Super Vision" (Plattenkritik hier), dem dritten Album seines Zweitprojektes THYX, mit der oft unterschätzten Gefahr der totalen Überwachung. Für UNTER.TON Grund genug, den großen Lauschangriff auf den Österreicher zu starten...
Nicht mal ein Jahr hat es gedauert, bis das neue Album "Super Vision" fertig wurde. Hattest Du einen besonders kreativen Fluss?
Ja, die vielen Snowden-Enthüllungen beschäftigten mich einfach sehr. Schnell entstand ein Song nach dem anderen. Mir war klar, dass ich das gesamte Album dem Thema der Überwachung widmen wollte. Durch das ständige Musizieren am Computer werde ich auch immer effizienter und schneller. Mittlerweile besitze ich mein eigenes kleines Tonstudio (www.nicelabs.at). Dort schraube ich immer an irgendetwas herum. Das schärft die Sinne und ich kann meine Ideen viel schneller umsetzen als noch vor einigen Jahren. Bei einer Inspiration schnell zu sein, ist immer von Vorteil.
Wie schon erwähnt, behandelt "Super Vision" das Thema Überwachung – in Zeiten von NSA etc. eine wichtige Angelegenheit, über die zu sprechen und anscheinend auch zu singen ist. Wie beurteilst Du die gegenwärtige Situation? Sind wir bereits gläserne Menschen?
Absolut! Es ist bereits viel schlimmer, als wir glauben, und ich finde es extrem wichtig, dieses Thema aktuell zu halten. Es kommt mir so vor, als ob sich die Leute daran gewöhnen und der Protest wieder weniger wird. Wir müssen unbedingt dagegen ankämpfen! Der NSA-Skandal hat uns vor Augen geführt, wie korrupt die ganze Welt doch ist und was nicht alles unternommen wird, um die Kontrolle zu bewahren.
Was ist Deiner Meinung nach ärgerlicher: Dass die USA Angela Merkel ausspioniert hat, oder dass bereits im Vorfeld bekannt wurde, dass die Spionage schon bei den unbescholtenen Bürgern begonnen hat?
Spioniert wurde schon immer. Gerade bei wichtigen Personen zwischen Regierungen. Furchtbar sind aber das maschinelle Datensammeln und seine Aufbereitung. Die gespeicherten Informationen kann die NSA dann für alles mögliche verwenden. Anscheinend steckt die halbe Welt mit der USA aber unter einer Decke, mit Sicherheit auch Bundeskanzlerin Merkel, da niemand etwas dagegen unternimmt. Zu groß ist der Druck von den USA.
Irgendwann werden die Menschen aber doch aufbegehren, oder?
Weiß ich nicht. Ich hatte jedenfalls noch nie so ein schlechtes Gefühl für die Zukunft wie jetzt. Unser ganzes System ist erkrankt. Vielleicht war es auch immer schon so. Es liegt in unserer Hand: Wir müssen skeptisch sein und verstehen lernen, dass nicht alles, was in der Glotze oder in der Zeitung steht, objektiv ist. Das ist leichter gesagt als getan, wenn um uns herum überall die Schlagzeilen in Leuchtschriften vorbei laufen. Da fängt es nämlich schon an: Die meisten von uns werden kontrolliert, ohne es zu wissen. Und sie haben auch keine Zeit, aus dem Hamsterrad über den Horizont zu blicken. Politiker sind da nicht ausgenommen. Es ist ein Teufelskreis, denn das System ist gleichzeitig auch deine Quelle auf die du angewiesen bist. Die Welt ist leider sehr kompliziert und nicht leicht zu verstehen. Diejenigen, die das aber tun, lenken sie zu ihren Gunsten. Wenn sie noch dazu moralisch nicht astrein sind, wird es richtig ungut.
So wie in "1984" von George Orwell? Plattencover und Booklet sind jedenfalls voll von Anspielungen auf diesen Schriftsteller...
Georg Orwell ist einfach aktuell wie nie zuvor. Das Cover drückt unsere gegenwärtige Situation in der Welt sehr gut aus. Ich wollte die Idee mit der blutigen Hand unbedingt umsetzen. Überwachung ist keine Lappalie. Viele meinen ja, sie hätten sowieso nichts zu verbergen. Aufgrund von Überwachungsdaten wird aber auch über Leben und Tod entschieden. Es ist tatsächlich eine blutige Angelegenheit.
Mit "Robots Don't Lie" setzt Du ein klares Zeichen und legst unsere Technik-Gläubigkeit offen. Sind wir tatsächlich schon so abhängig von den Maschinen?
Natürlich sind wir das! Jeden Tag benutzen wir unzählige Maschinen. Für mich sind das aber alles mehr oder weniger Werkzeuge, so wie ein Schraubenschlüssel. Solange Maschinen noch keine Intelligenz besitzen ist es gut. In „Robots Don’t Lie“ erzähle ich über eine Welt, in der Maschinen die Guten sind und den nächsten Schritt in der Evolution darstellen. Maschinen lösen den Menschen ab. Sie sind die Guten, wir das Böse. Obwohl die Geschichte traurig klingt, trägt sie für mich auch sehr viel Hoffnung in sich.
Einerseits kritisierst du das System, nutzt aber selbst soziale Medien und das Internet allgemein, um in Verbindung mit den Fans zu sein. Wie lassen sich die zwei Seiten verbinden?
Soziale Netzwerke finde ich sehr sehr wichtig. Für mich, um mit den Fans in Kontakt zu bleiben, und für die Welt, um Entwicklungen transparent zu machen. Ich bin sicherlich kein Hardcore-Social Media User, aber Facebook und Twitter benutze ich doch regelmäßig. Allerdings bin ich vorsichtiger geworden: Auf Facebook bin ich selbst anonym unterwegs, soweit das heutzutage noch möglich ist. Mich fasziniert es aber, wie manche Menschen gleichzeitig arbeiten und auf den sozialen Plattformen ständig ihren Status posten. Wenn ich im Studio sitze und an irgendetwas arbeite, schaffe ich es gar nicht, noch etwas anderes zu machen.
Scheint so, als müssen wir immer mehr in weniger Zeit schaffen...
Allerdings. Markus (Hadwiger, Mitglied bei Mind.In.A.Box, Anm. d. Red.) hat mir unlängst wieder bestätigt, dass er es nicht mehr schafft, seine ständig eintreffenden E-Mails zu beantworten. Viele erwarten auch sofort eine Antwort. Bei mir ist es nicht ganz so schlimm, aber man verliert doch öfters die eine oder andere E-Mail, einfach weil man diese riesigen Datenmengen, die tagtäglich auf einen einprasseln, kaum noch bewältigen kann.
Dieses Phänomen scheinst Du auch in "Every Time" verarbeitet zu haben...
Nicht ganz. Bei dem Song ging es mir um unsere Konsumgesellschaft, die auf Konkurrenz ausgelegt ist und den Druck, dem wir dadurch ausgesetzt sind. Alles muss effizienter und leistungsfähiger werden, um bestehen zu können. Wo wird das alles enden, wenn nichts mehr optimiert werden kann? Das Privatleben leidet darunter, Menschen brennen förmlich aus. Es ist an der Zeit, unser Verhalten und so auch die Welt verändern. Es wird zu viel gearbeitet und zuviel konsumiert.
Sich einfach mal ausklinken. Handy und Computer abschalten. Kannst du das?
Ja, ich mache das tatsächlich. Es ist richtig entspannend, mal nicht auf dem Laufenden zu sein. Das geht sehr gut, wenn ich mal mit dem Motorrad auf einer kleinen Tour bin und die Landschaft genieße. Das Telefon wird bei mir auch am Tag oft ignoriert, da ich meist im Studio arbeite und ich mich hier nicht ständig ablenken lassen will. Vielleicht kennst du den österreichischen Schauspieler und Kabarettist Roland Düringer – ein großer Denker. In einem Selbstversuch hat er es geschafft, aus vielen Dingen unseres Systems „auszusteigen“. Auf seiner Homepage (www.gueltigestimme.at) dokumentiert er diesen Prozess. Sehr interessant!
Augefallen ist mir auch "Our Only Home". Ein typischer Umwelt-Protest-Song. Allerdings hören wir Deine Stimme stark moduliert. Wer singt also da? Das Gewissen der Menschen?
Das kann man so sagen. Das Gewissen der Menschheit spricht mit der Welt. Als ich den Song schrieb, habe ich oft das großartige letzte Album von Daft Punk, „Random Access Memories“, gehört. Das hat den Song relativ stark beeinflusst. Klingt etwas untypisch für THYX, aber genau für solche Experimente habe ich dieses Soloprojekt gegründet.
Welchen Beitrag leistest Du zur nachhaltigen und umweltbewussten Lebensweise?
Ich versuche generell so gut es geht, Energie zu sparen. Also beispielsweise den Computer oder das Licht nicht laufen zu lassen wenn es nicht nötig ist, mit Stofftasche einzukaufen, Wasser nicht laufen zu lassen, Mülltrennung sowieso, unnötiges Heizen vermeiden, mit dem Auto wenig fahren und so weiter. Ich glaube, wir könnten durch einfache Veränderungen unseres Verhaltens vieles reduzieren.
Am Ende noch ein kleiner Ausblick: Mind.In.A.Box ist heuer zehn Jahre alt geworden. Da sollte es doch dann bald mal wieder Material geben, oder?
Ich denke, nächstes Jahr wird es bei MIAB wieder etwas zu hören geben.
|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER // DATUM: 05.06.2014 ||| DEINE MEINUNG? MAIL SCHREIBEN! || WEITER: INTERVIEW MIT ROME >>
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FOTOS © NATALIA NORTJE (TITEL), © MARKUS THUMS
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