MIND.IN.A.BOX "BLACK AND WHITE": BACK FOR GOOD
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Es liegt nicht in der Natur des Österreichers Stefan Poiss, so lange in der Versenkung zu sein. Der Musiker hat mit seinen beiden Projekten Mind.In.A.Box und THYX für einen konstanten Fluss an Veröffentlichungen - allesamt auf einem absolut herausragenden Level angesiedelt - gesorgt. "Es waren turbulente Jahre die mich sehr ablenkten", resümmiert er. "Da war es leider für mich oft schwierig, sich so wie früher einfach ins Studio zu setzen und sich voll auf die Musik zu konzentrieren." In einem früheren Interview mit UNTER.TON hat Stefan auch offen gelassen ob und wie lange es mit seiner musikalischen Karriere weitergeht. Das liege vor allem an der mittlerweilen Geringschätzung von Musik, die sich in Zeiten flüchtiger Playlisten mittels kurzer Spieldauer und plakativer Kompositionen sofort beim Hörer einbrennen muss. Unter diesen Gesichtspunkten ist "Black And White" das siebte Kapitel der Cyber-Punk-Saga der krasse Gegenentwurf zum Zeitgeist: Ein Album mit einer Gesamtspiellänge von 75 Minuten, bis auf drei Songs alle über vier Minuten lang. Das wird so manche Aufmerksamkeitsspanne zum Bersten bringen.
Andererseits - und das ist der Grund, warum Stefan seine Synthesizer noch nicht an den Nagel gehängt hat - will die treue Fangemeinde genau das. "Wenn man so viel Zeit seines Lebens für eine bestimmte Sache verwendet hat, wird es ganz schwierig, wirklich damit aufzuhören. So lange es eine Fangemeinde gibt für diese Art von Musik und die sich auf neues Material freut, mache ich sicher weiter." So dürfte der Titel des ersten Stück den poiss'schen Jüngern aus tiefster Seele sprechen: "It's So Good To See You Again". Eine Nummer, die nicht nur den wohlvertrauten Klangkosmos wieder eröffnet, sondern auch gleich eine kleine, aber doch entscheidende Neuerung bereithält.
Früher griffen die Songs einzelne Highlights der Geschichte um den Agenten Black auf, während die Handlung dazwischen ein bisschen im luftleeren Raum blieb, beziehungsweise an anderer Stelle, zum Beispiel auf der Bandpage, weitererzählt wurde. Mittlerweile wird Story nicht nur im Booklet fragmentartig als "missing link" zwischen den Stücken dargelegt, sondern auch stärker in die Lieder integriert. "It's So Good To See You Again" macht genau dies: Der Song beginnt mit schüchternen Arpeggios, bei dem ein Treffen zwischen The Friend und Night nacherzählt wird und sich zu einer bombastischen Synthie-Halbballade entwickelt. "Ganz speziell gefallen mir die Tracks in denen auch etwas wie aus einem Hörbuch erzählt wird die dann aber auch Songelemente beinhalten", bestätigt Stefan die dezente stilistische Neuausrichtung.
Damit einher geht ein freierer Umgang mit der Stimmverfremdung. Waren die unterschiedlich gepitchten Gesangsspuren hauptsächlich in Erzähler, Black selbst und Blacks Unterbewusstsein aufgeteilt, wird mit zunehmenden Protagonistenanzahl (mittlerweile sind White, The Friend und Night als weitere handelnde Personen eingeführt worden) auch die stimmlichen Veränderungen vielfältiger. "Im Song 'Integrate' hat beispielsweise ein Doktor eine Konversation mit einem Patienten. Das kannst du mit mehreren Gesangsarten natürlich viel besser umsetzen." Trotz des vorgegebenen thematischen Rahmens, bleibt für den Musiker die Suche nach den passenden Lyrics immer eine Herausforderung. "Ich komponiere meistens die Struktur des Songs, bevor ich mich an den Gesang setze. Relativ selten baue ich den Song um eine Gesangsmelodie herum. Mit der ersteren Variante bekommst du aber unter Umständen das Problem, eine passende Gesangsmelodie zu finden. Genau das finde ich aber gerade spannend und lädt zum herumexperimentieren ein. Ich glaube, du kannst zu allem einen coolen Gesang machen, du musst ihn nur finden. Deswegen gibt es bei mind.in.a.box wohl so viele unterschiedliche Stimmen. Mal künstlich, mal verzerrt, mal komplett roh und oft auch mehrere Gesangsarten in einem Song."
Vielleicht ist es auch der langen Zeit, die seit dem Vorgänger "Broken Legacies" vergangen ist, geschuldet, dass "Black And White" selbst für MIAB-Verhältnisse so ziemlich alle bis dato gesetzten Rahmen sprengt? "Das mag auch ein Grund dafür sein", gibt Stefan zu. "Die Arbeit intensiviert sich von Album zu Album. Jetzt bin ich aber bei einem Punkt angelangt wo ich mir nicht vorstellen kann, noch mehr Zeit in ein einziges Album zu investieren. Vielleicht täusche ich mich aber. Ich denke 'Black and White' war das zeitlich aufwendigste Album bisher. Man hätte wohl auch zwei Alben draus machen können aber mir gefällt diese Dichte und Vielfalt." Und sie hält neben den Clubnummern "Integrate" und "Activate", die sicherlich die größte aufmerksamkeit ziehen wird, so musikalische Besonderheiten wie "Sometimes Never" (mit einem bombastischen Finale aus donnernden Trommeln und gniedeligen Gitarrensounds) und "One And The Same", eine der schönsten Balladen, die Stefan je erdacht hat. Dem gegenüber steht das alerte "Vertigo" mit seinen organischen Drums und einem wesentlich schrofferen Sound und extrem langgezogenen Outro auf einer Note.
"Black And White" taucht noch tiefer in die Geschichte ein und zeigt den Österreicher auf dem Zenit seines Schaffens. Bei dem Prädikat "Bestes Album der Karriere" ist immer Vorsicht geboten. Vor allem bei Mind.In.A.Box: Bereits ihr 2004er Debüt "Lost Alone" wurde zum Nonplusultra in der elektronischen Klangerzeugung auserkoren - ganz zu Recht. Und mit jedem weiteren Werk, das uns Stefan Poiss vorsetzt, sind die Superlative von einst nicht mehr ausreichend für die Nachfolger. Wobei "Black And White" in Umfang und tönernem Variantenreichtum eine neue Stufe erreicht hat, die kaum mehr zu überbieten ist. Oder doch? Wir werden es erfahren, denn auch hier ist die Geschichte nicht zu Ende erzählt. Bleibt zu hoffen, dass man nicht wieder derart lange auf die Folter gespannt wird.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 22.08.23 | KONTAKT | WEITER: HOZIER "UNREAL UNEARTH">
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