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EX MACHINA: INNERE APOKALYPSE

Im Gespräch


Im Jahre 1999, also zu einer Zeit, als sich das Internet zum erklärten Feind der Musikindustrie zu mausern begann, gab Claudio Chiriatti den Startschuss zu seinem Electro-Projekt ex machina. Bis heute veröffentlichte das Duo (Tobias Schwerdt kam 2008 dazu) seine Musik ausschließlich via World Wide Web und hat sich auf diesem Weg längst alle künstlerischen Freiheiten erspielt. "No One", der mittlerweile fünfte Streich aus der Maschine, erzählte bereits im April vergangenen Jahres die Geschichte eines selbsternannten Propheten, der die Menschheit vor einer bevorstehenden Katastrophe warnen will. Einmal mehr beweisen ex machina, dass sie nicht zu den schlechtesten Vertretern ihres Genres zählen. Nur der große Durchbruch steht irgendwie noch aus. Höchste Zeit für UNTER.TON, die beiden Musikbegeisterten einmal etwas ausgiebiger unter die Lupe zu nehmen...


ex machina gibt es schon etwas länger, eine große Präsenz in der Schwarzen Szene oder bei Freunden elektronischer Musik habt ihr bislang noch nicht. Könnt ihr ganz gut als Underdog leben oder wünscht ihr Euch mehr Aufmerksamkeit?

Claudio: Na ja, mehr Aufmerksamkeit ist natürlich nie verkehrt. (lacht) Allerdings finde ich den Status eines Underdogs durchaus reizvoll. Es hat etwas mit Freiheit zu tun: Man ist generell nicht so festgelegt wie ein etablierter Musiker. Künstlerische Unabhängigkeit ist mir persönlich am wichtigsten. Ich finde es auch toll, wenn uns Menschen nach so langer Zeit immer noch entdecken können und als etwas neues oder gar einen Newcomer ansehen.
Tobias: Ich kann mich da nur anschließen! Natürlich freut sich jeder Künstler, wenn er wahrgenommen wird, und umso mehr Leute das tun, desto besser. Aber in der Nichtigkeit des Mainstreams zu enden,
wäre auch kein schönes Los. Dann bleiben wir schon lieber ein ernst genommener Underdog.

Diese Einstellung ehrt euch natürlich. Aber man braucht dafür schon einen langen Atem. Viele hätten nach so langer Zeit vielleicht schon das Handtuch geworfen...

Claudio: ex machina hat dieses Jahr sein 15-jähriges Jubiläum, deshalb ist das Projekt für mich eine grundlegende Lebenseinstellung. Ich würde sogar sagen, es bildet ein Rückgrat in meinem Leben. Mittlerweile hat sich ex machina fast ein wenig verselbstständigt, aber auf eine positive Weise. Ich persönlich kann mir ein Leben ohne Musik kaum noch vorstellen, und so lange ich noch Lust und Freude daran habe, werde ich weitermachen.
Tobias: Ich bin jetzt seit 2008 dabei und kann mir auch nicht vorstellen, kein Teil von ex machina zu sein.

Dabei hast Du, Tobias, einen ganz anderen musikalischen Hintergrund...

Tobias: Das stimmt. Damals gab es für mich, bis auf wenige Ausnahmen, nur Punk, Rock und Metal. Ich wollte immer nur handgemachte Musik machen... Was für ein Irrsinn (lacht)! Wo gibt und gab es das denn? Es wurde ja schon damals alles durch Mikros, Verzerrer und Effektgeräte gejagt.

Ihr kennt Euch seit Eurer Jugend, habt Euch zwischendurch aber etwas aus den Augen verloren. Wie seid ihr wieder zusammen gekommen?

Tobias: Als wir uns wiedergetroffen haben, hatte ich gerade kein Projekt und Claudio wollte auch nicht mehr alleine arbeiten. Also haben wir es einfach mal ausprobiert. Es war wohl eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Nicht nur weil Claudio ein sehr kreativer und exzellenter Musiker ist, sondern weil sich seitdem für mich auch unendliche Möglichkeiten und neue Facetten in der Musik aufgetan haben.

Euer aktuelles Album "No One" ist die Geschichte eines selbsternannten Propheten, der Anzeichen einer drohenden Apokalypse sieht. Was hat Euch zu diesem Stoff inspiriert?

Claudio: Ich will nicht melodramatisch klingen, aber schau dir doch einmal unsere Welt an! Es ist meiner Meinung nach höchste Zeit, dass ein Großteil der Menschheit ihre Einstellung ändert. Die immer noch bei vielen Menschen an erster Stelle stehende Gier zerstört so ziemlich alles, wofür der Begriff "Menschlichkeit" steht. Deshalb ist es endlich an der Zeit, umfassender und langfristiger umzudenken, damit wir uns nicht bald endgültig den Ast absägen, auf dem wir alle sitzen.
Tobias: Ich bin ein politisch und am Weltgeschehen interessierter Mensch, aber ich habe immer mehr Phasen, wo ich einfach keine Nachrichten und Dokumentationen mehr ertragen kann, da mich die Dummheit der Menschheit nur aggressiv macht. Dasselbe erfährt man ja auch immer wieder im Kleinen: Du erzählst den Leuten aus einfacher Logik heraus, was sie lieber nicht machen sollten. Sie geben Dir zwar Recht, machen aber trotzdem weiter wie bisher. Und zu guter Letzt jammern sie Dir dann noch die Ohren voll.

Ein bisschen lässt es das Album offen, aber hat der Prophet Recht und es gibt wirklich die ultimative Katastrophe oder ist der Protagonist Gefangener seiner wirren Gedanken?

Claudio: Wir haben es bewusst offen gelassen. Wie schon oben ein wenig angedeutet, denke ich, dass die Apokalypse in uns selber steckt. Vielleicht beschreibt das Album ja auch die "persönliche" Apokalypse des Protagonisten, bis hin zur letzten Konsequenz. Es gibt da verschiedene Blickwinkel und Möglichkeiten und ich möchte es dem Zuhörer überlassen, seine Version der Geschichte zu finden.
Tobias: Genau! Wir wollten die Hörer nicht lenken oder manipulieren, sondern einfach zum In-sich-rein-Horchen und Nachdenken animieren.

Euer Sound erinnert an einen rudimentären, minimalen Electro-Pop. Welche Bands haben euch beeinflusst?

Claudio: Ganz klar der gesamte Synthie-Pop der frühen 80er Jahre, aber auch vieles an experimenteller Elektronik aus ganz anderen Ecken. Ich bin bei Musik generell sehr offen: Wenn es mir gefällt, höre ich es mir an. Das Genre ist dann völlig zweitrangig.
Tobias: Ich höre viele verschiedene Richtungen, von Gothic bis Jazz – eben einfach alles, was mir gefällt. Eine Band, die ich aber immer wieder gerne höre und die mir auch stets neue Inspiration liefert, sind Nine Inch Nails.

Erinnert ihr Euch auch noch an die erste Platte, Kassette oder CD, die ihr Euch gekauft habt?

Claudio: Leider nicht mehr, aber ich erinnere mich daran, wie ich zum ersten Mal bewusst elektronische Musik gehört habe. Ich saß als Kind in unserer damaligen Küche - und aus dem Radio erklang "Autobahn" von Kraftwerk. Diese Klänge, die ich da hörte, faszinierten mich total. Das weckte mein Interesse an Synthesizern und elektronischer Musik.
Tobias: Die erst Platte die ich mir gekauft habe, war von Kiss. "Dynasty". Da war ich noch sehr jung, und ich habe mir die LP hauptsächlich wegen dem Cover gekauft. Danach kamen dann Scheiben von Bands wie Iron Maiden, Ten Years After, Led Zeppelin, Metallica, Cure und EA80. So kam es dann, dass ich meine Eltern schließlich über Jahre hinweg mit meinem Schlagzeug unterhalten habe. (lacht)

ex machina zeichnet vor allem aus, dass die Alben ausschließlich übers Internet vertrieben werden. Warum nicht der "normale" Weg?

Claudio: Das werden wir immer wieder gefragt. Aber für mich gibt es da keinen Unterschied mehr. Allerdings denken wir gerade tatsächlich darüber nach, die Musik auch auf "normalem" Wege zu veröffentlichen.
Tobias: Da war Claudio damals der Zeit voraus! Der digitale Markt wird immer größer und bietet mittlerweile eben auch die Möglichkeit, die Musik in einer besseren Qualität anzubieten. Sicherlich ist da noch viel Luft nach oben! Dafür spricht aber auf jeden Fall, dass wir unsere Musik auf diesem Wege der ganzen Welt zur Verfügung stellen können.

Wie wichtig sind demnach soziale Netzwerke zur Verbreitung Eurer Musik?

Claudio: Sehr wichtig! Einer der wichtigsten Kanäle überhaupt. Das direkte Feedback ist ein tolles Feature: Auf diese Weise erreichen wir schneller die Menschen und Fans. Wir freuen uns immer, wenn sich jemand mit uns verbindet!
Tobias: Stimmt! Das Internet ist einfach ein direktes und weltweites Kommunikationsmittel. Es lässt einem auch die Möglichkeit, sich so darzustellen, wie man es möchte, ohne irgendwelche Klischees bedienen zu müssen. Natürlich gibt es mittlerweile auch hier Menschen, die nur Meinungsmache betreiben, aber eben auch die Chance, persönlich mit den Fans in Kontakt zu treten. Für mich ist das Netz zur Zeit das wertvollste und offenste Informationsmedium: "I like!"

||INTERVIEW: DANIEL DRESSLER // DATUM: 31.07.2014||WEITER: BACIO DI TOSCA IM INTERVIEW MIT UNTER.TON >>||

LINKS


Das Album "No One"
in voller Länge:
https://www.facebook.com/exmachinaproject


Bandpage:
http://www.exmachinaproject.com


FOTOS © MARIE-CHRISTIN PAPEN.


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