YAZOO UND "WINTER KILLS": AM ABSOLUTEN NULLPUNKT DER LIEBE - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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YAZOO UND "WINTER KILLS": AM ABSOLUTEN NULLPUNKT DER LIEBE

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Zwei dumpfe Schläge auf die Basstrommel, dann zwei mollschwangere Pianoakkorde: So führen uns Chanteuse Alison Moyet und Melodienmagier Vince Clarke, alias Yazoo, in ihr grauglitteriges Lamento "Winter Kills" ein. Das Stück reduziert die für gewöhnlich angedunkelte Plastik-Pop-Ästhetik des Duos auf nur noch drei Zutaten: ein minimal taktgebendes Schlagwerk, flirrige Synthesizergeräusche und tippelnde Klaviergirlanden. Zusammengesetzt eröffnen sie dem Hörer eine wahrhaftig winterlich wirkende Landschaft, so kahl und schutzlos wie der Song selbst.

In dieser fragilen Klanghülle setzt die Sängerin zu einer stimmlichen Meisterleistung an; die Strophen trägt Moyet mit der bedrohlichen Grandezza einer Eiskönigin vor. In kryptisch-surrealistischen Bildern besingt sie die Liebe, die in ein frühlingshaftes Grün getunkt scheint und verliert sich in federleichten Tagträume, deren sommerliches Flair jedoch nur noch schwach zu erahnen ist.

Denn immer wieder gelangt die charismatische Frontfrau zur bitteren Erkenntnis, das in jedem Glück die Vergänglichkeit innewohnt. "On Bright Days You Grew Sunblind", heißt es hier, "You Drove Too Fast And Got Nowhere" mahnt es dort. Am Ende steht die Quintessenz: "How Winter Kills!" Man fühlt sich ein wenig von den barocken Gedichten eines Andreas Gryphius erinnert: "Was itzund prächtig blüht, sol bald zutretten werden. Was itzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein". Vanitas, o vanitas!

Alles scheint unter der winterlichen Kälte zu erstarren. Und doch herrscht innere Unruhe: "I'll Tear At You, Searching For Weaker Seams" beschreibt der Pseudo-Refrain - in der Wiederholung übrigens vice versa vorgetragen. Wie ein expressionistisches Gemälde oder eine Tanztheaterszene bewegen sich zwei Körper aufeinander zu, greifen, reißen den anderen an sich, stoßen sich ab. Einheit und Harmonie mag da nicht aufkommen. Alles ist Kampf!

Natürlich: Es geht um Beziehung. Allerdings um eine, deren Ende schon gleich zu Beginn zu erahnen ist: "Pain In Your Love, Makes Me Cruel, Makes Me Spiteful. Tears Are Delightful, Welcome Your Nightfall." Das lyrische Ich labt sich an der schieren Verzweilflung seines Gegenübers, dessen Tränen ihn emotionslos lassen. Aufgelöst wird dieses Spannungsverhältnis übrigens nicht. Dennoch steckt am Ende im nachhallenden Leitmotiv "How Winter Kills" der Hinweis, dass die einstige Liebe zum absoluten Nullpunkt heruntergezogen wurde.

Yazoo schildern das Ende einer vermeintlich großen Zuneigung - und zwar an jenem Punkt, wo der Verlust sich so unerträglich anfühlt, dass ein Fortleben ohne den Partner nicht denkbar erscheint. Es ist der Moment der größten Trostlosigkeit und Gefühlstaubheit. Denn eine vereiste Seele empfindet keinen Schmerz mehr. Das Verhallen des Songs verheißt daher auch nicht mehr den kleinsten Funken Hoffnung - ein in seiner Drastik und Intensität außergewöhnliches Kleinod des kurzlebigen Zweiergespanns.

|| TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 10.01.17 | KONTAKT |  WEITER: RICHARD KIRK VS. SANDOZ VS. SIGNAL BRUIT >

FOTO © UNTER.TON/ANTJE BISSINGER.

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