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JEAN DELOUVROY "JEAN DELOUVROY": MEISTER ZWISCHEN DEN STÜHLEN

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Irgendwann einmal, im Laufe des letzten Jahrhunderts, kamen findige Kategorisierungs-Fanatiker auf die - pardon! - generalblöde Idee, Musik in ernste und unterhaltende Formen zu unterteilen.

Grob umfasst, beinhaltet seitdem der Begriff "E-Musik" sämtliche "kunstvoll" ausgearbeiteten, sprich: klassischen Kompositionen, während U-Musik nur dem Kommerz verpflichtet ist, ohne auch nur entfernt einen Kunstanspruch erheben zu dürfen.

Dass diese Einteilung seit mindestens 40 Jahren nicht mehr funktioniert, haben Komponisten wie Philip Glass bereits bewiesen: Der Amerikaner gilt als Vertreter der sogenannten Minimal Music, einer Ausformung moderner Klassik. Ebenso wirkte Glass aber auch bei Paul Simons Hit-Album "Graceland" mit.

Zuletzt schaffte es der Franzose Woodkid, mit seinem Meilenstein "The Golden Age" die beiden künstlich generierten Sphären zu vereinen und gleichzeitig ad absurdum zu führen.

Ähnlich, wenngleich noch nicht derart bekannt, steht es mit Jean Delouvroy aus Brüssel: Seine aktuelle Doppel-CD umfasst verschiedene Kompositionen, die sich zwischen kinematographischen Klängen, elektronischem Dark-Ambient und minimal arrangierten Zweiminütern bewegen.

Da kommt der ordnungsliebende Deutsche wieder einmal ins Schwitzen: Welches Etikett soll man denn nun Jean Delouvroy anheften? Ist er Elektroniker? Oder doch moderner Komponist?

Der 1967 geborene Belgier könnte bei Industrial-Fans ebenso seine Anhänger haben wie auch unter den sophistischen Bildungsbürgern.

In erster Linie gehört Delouvroy aber sich selbst – und seiner deutlich hörbaren Liebe zu non-konformistischen Klangkonstrukten, denen es egal ist, wie sie am Ende des Tages betitelt werden.

Der Mann kommt aus der Klassik; das ist unüberhörbar.

Seine absolvierten Studien am Konservatorium in Gent tragen sicherlich dazu bei, Musik nicht nur mit dem Bauch zu fühlen, sondern auch einige Stockwerke weiter oberhalb zu analysieren. So ist seine CD, schlicht "Jean Delouvroy" betitelt, auch ein Sammelsurium an Zitaten aus verschiedenen Epochen.

"Sound Miniature #1" klingt wie das mittels elektronischer Effekte dekonstruierte Presto aus der Sommer-Suite von Vivaldis "Vier Jahreszeiten". Auch im Mittelteil des knapp 30-minütigen "Teufelsberg" lässt eine repetitve Geigenfigur den "Hummelflug" von Rimsky-Korsakov durchscheinen. Und in seinen "Unload"-Variationen vermischt der Brüsseler gekonnt Chopins Klavier-Romantik mit der drängenden Zwölftontechnik eines Arnold Schönberg.

Doch wirkt diese auditive Intertextualität nie überheblich und altklug, sondern erscheint lediglich als winziger Teil einer größeren Sache, die Delouvroy dem Hörer verständlich machen will: Musik, das bedeutet Neugier, Experimentierlust, Wachsamkeit - und auch Verschmelzung mit anderen Kunstformen.

So sind seine Epen "Der Regenbaum" und "Teufelsberg" auf der zweiten CD Teile audiovisueller Performances aus den Jahren 2004 und 2006 gewesen.

Gerade in diesen groß angelegten Stücken scheint sich der Musiker am wohlsten zu fühlen: Hier vermengt er sämtliche Stilrichtungen zu großen, rubensgleichen Tongemälden, die den Hörer zunächst ob ihrer Monströsität erschrecken, aber auch überrascht zurücklassen.

Als Meister der Endlosschleife vertraut Jean Delouvroy auf wiederkehrende Themen und Muster, die er in ihrer Intensität steigert.

Vor allem "Drone in C", "Solaris" und "Siddharta" entfachen einen hypnotischen Sog: Die minimalen Ambient-Stücke bauen sich in Zeitlupe auf; Delouvroy gibt
nach und nach immer weitere Klangschichten dazu.

Wie aus der Erde langsam gen Himmel emporragend, gewinnen die Kompositionen zusehends an majestätischer Würde, bis sie, einem Riesen gleich, schier übermenschlich wirken.

Ähnlich Bewusstseins-eingreifend, aber wesentlich eingängiger, wirken dagegen die fast schon an Krautrock erinnernden "Desert Idea" und "Psychedelic Guitar".

Letzter Song erklärt sich hierbei von selbst: Ein scheinbar improvisiert eingespieltes Gitarrenthema wird durch diverse Filter gejagt, mit jeder Menge Hall unterlegt und von einigen atmosphärischen, an Klangschalen erinnernden Tönen begleitet.

Aus dem einfachen Anschlagen der Saiten entstehen träumerische Texturen, wie sie beispielsweise Tangerine Dream erfolgreich praktizierten.

Tatsächlich bleibt der charismatische Künstler ein schwer zu greifender Musikprofessor: So wie die Genregrenzen in seinen Werken verschwimmen, so lässt auch das verfremdete Bild auf dem Cover keine eindeutigen Schlüsse mehr zu.

Das in schlichtem Schwarz-Weiß gehaltene Bild mit kalt-klarem Schriftzug bleibt ein durch Computertechnik verfremdetes Rätsel – wie auch ein Großteil seiner Musik. Es zu entschlüsseln, macht den Reiz seines Oeuvres aus.

Jean Delouvroy ist ein Meister zwischen den Stühlen, der in anspruchsvollen Kompositions-Orgien der Musik ein neues, abstrakteres und gleichzeitig von allen Schnörkeln befreites Gesicht verleiht.

Viele seiner gleich im doppelten Sinne ausgezeichneten Arbeiten könnten auch im elektronischen Untergrund für einige Furore sorgen. Die Hochkultur hat Delouvroy schon teilweise für sich entdeckt; nun muss die Subkultur endlich nachziehen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 25.03.15 |  KONTAKT |  WEITER: MARSHEAUX "A BROKEN FRAME" (DEPECHE MODE TRIBUTE) >


Website (und CD-Bestellung)
www.jeandelouvroy.com


COVER © JEAN DELOUVROY.

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