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BACIO DI TOSCA: VIRTUELLE VIRTUOSEN

Im Gespräch

Die klassische Rock'n'roll-Erfolgsformel ist schnell erklärt: Will ein Musiker höhere Sphären erreichen, muss er erst einmal Staub fressen. Das bedeutet: die kleinsten, schäbigsten Kaschemmen besuchen und das Publikum vis-à-vis von seinen Qualitäten überzeugen. Mit den neuen Medien ist dieses Traditions-Modell fast ein wenig in Vergessenheit geraten. Berühmtheit erlangen heute jene Künstler, die sich auf das digitale Spielfeld wagen und die Möglichkeiten der virtuellen Kanäle für ihre Zwecke nutzen. Auch Dörthe Flemming scheute nie davor zurück, ihr Wave-Projekt Bacio Di Tosca auf die virtuelle Bühne zu bringen. Eine ausgedehnte Live-Tournee gab es nie, Festival-Auftritte sind rar gesäht. Dafür bleibt der geneigte Fan der Formation durch permanente Online-Präsenz und nette Gimmicks (z.B. die Webserie Bacio-Di-Tosca-TV) auf dem Laufenden. Kein Tourstress, das bedeutet auch jede Menge Zeit für neue Ideen. Jüngster Coup: Die innovative Relief-CD, ein Tonträger mit gewissem Etwas. So kommt der aktuelle Silberling, "Was ich liebe (ist seltsam und krank)" [Platten-Kritik hier] mit funkelndem Swarovski-Stein daher...

Wie ist diese Idee entstanden?
Ganz spontan – wir haben an der Entwicklung dann insgesamt noch über zwei Jahre gearbeitet, bis sich dies auch in Massenfertigung produzieren ließ! Der Swarovski™ Stein sitzt dabei nicht "auf" der CD, sondern ist versenkt angebracht. Durch diese spezielle Montage lassen sich Probleme wie Unwuchten oder Inkompatibilitäten vermeiden. Kurz vor der Auslieferung gab es noch mal kleine Probleme in der Fertigung, die aber glücklicherweise gelöst werden konnten. So ist das eben, wenn man völlig neue Pfade betritt!

Wie wichtig sind für Dich, in Zeiten von Downloads und iTunes, die Aspekte von Artwork und Covergestaltung?
Das Cover ist ja das Erste, was ein Kunde im Laden oder Internet zu sehen bekommt und entscheidet somit oftmals darüber, ob er sich damit näher beschäftigt oder nicht. Entsprechend besitzt das Artwork schon sehr große Wichtigkeit! Wir haben mit dem Cover zu "… und wenn das Herz auch bricht" einen ziemlichen Tabubruch gemacht, was durchaus Diskussionen ausgelöst hat! Viele Fans hätten sich wohl lieber eine Nebellandschaft gewünscht anstatt einer Prostitutionsszene. Beim aktuellen Cover habe ich dann auch die Zeichnungen für das Booklet gemacht. Das verleiht dem Album eine noch persönlichere Note.

Du singst, zeichnest – und drehst Videoclips für deinen eigenen Internet-Kanal, Bacio-Di-Tosca-TV. Warum auch noch das?
Uns hat es nicht ausgereicht, einfach nur Musik zu machen – wir wollten das ganze Thema "breiter" anlegen. Die Beschäftigung mit einem Video-Podcast lag da nahe. Der Inhalt beschäftigt sich vor allem mit jenen Dichtern, die auch eine Vertonung finden. Als Anreiz können sich die Zuschauer immer ein passendes Lied dazu runterladen. Die ersten 100 Downloads sind übrigens kostenlos. Dieses Limit wird in der Regel recht schnell erreicht, was für uns ein Indikator dafür ist, dass es den Leuten gefällt. Durch die Arbeit am aktuellen Album schaffen wir es momentan allerdings nicht, dort regelmäßig jeden Monat eine Folge fertig zu stellen – wir arbeiten aber schon an mehreren Themen.

Ist also Bacio Di Tosca ein Gesamtkunstwerk - oder immer noch in erster Linie ein Musikprojekt?
Oh, als "Gesamtkunstwerk " habe ich das noch nie gesehen, uns macht es einfach Spaß in vielen Bereichen kreativ zu sein, warum sich also beschränken!?

Dein neues Werk ist, bis auf wenige Ausnahmen, eine Vertonung von Gedichten aus dem 18./19. Jahrhundert – vorwiegend mit romantischem Unterton. Was macht Deiner Meinung nach die Romantik als Epoche aus, dass sie die Jahrhunderte überdauerte und bis heute, im Gegensatz zu manch anderen Stilen, sich immer noch großer Beliebtheit erfreut?
Vielleicht sind es die vielen Möglichkeiten der Entfaltung, Spiegelung und die Illusion von Freiheit in der Romantik, was sie auch heute noch so populär macht. Auch ist die Romantik ja sehr gefühlsbetont und somit leichter zugänglich als andere, "verkopftere" Stile.

Ist die Wahl der Gedichte Dein persönliches "Best Of"?
Ja, das könnte man in der Tat so sagen! Beim Lesen alter Gedichtbände stoße ich immer wieder auf Werke, die mich besonders berühren, weil sie genau das in Worte fassen, was ich selbst empfinde oder schon empfunden habe. Dieser emotionale Bezug ist dann das ausschlaggebende Kriterium, diese Texte zu vertonen und konzeptionell einzubinden.

Kannst Du Dich noch an Dein erstes Gedicht erinnern, das Du gelesen oder auch auswendig gelernt hast?
Das war glaube ich "Lieber Guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an …" (lacht)

Gäbe es eine literarische Epoche, die Du gerne selber miterlebt hättest?
Aus künstlerischer Sicht zieht es mich vor allem zur Epoche der Romantik, die ja als Gegenentwurf zur Epoche der Aufklärung zu verstehen ist. Heute sehe ich dort gewisse Parallelen mit unserer Zeit, die ich gerne als Epoche der "Digitalisierung" beschreibe, in der sich interessanterweise wieder viele Leute von Mystik und Übersinnlichem angezogen fühlen. Abgesehen vom künstlerischen Aspekt geht meine Vorliebe für die Romantik jedoch nicht so weit, dass ich dort wirklich gerne dabei gewesen wäre – generell lebe ich schon gerne in der Gegenwart, mit all ihren Annehmlichkeiten!

Mit "Dünnes Eis" und "Bleib bei mir" sind auch Texte von Dir enthalten. War es von Anfang an klar, dass auch textliche Eigenkreationen auf der CD sein würden?

Nein! Das hat sich im Zuge der Produktion so ergeben. Für Charitona (Dörthes ehemalige Band, Anm. d. Verf.) hatte ich ja auch schon eigene Texte verfasst. Bacio di Tosca hingegen ist darauf konzipiert, Dichtung in Anlehnung an das romantische Kunstlied zu vertonen. Seit einiger Zeit spukte aber die Idee von einem Album mit eigenen Texten im Stil des "Chanson Noir" in meinem Kopf herum. Die zwei Chansons mit eigenen Texten auf diesem Album sind quasi ein kleiner Vorgeschmack. Ich bin schon sehr neugierig auf die Reaktionen zu diesen Liedern - vielleicht wird da ja mehr draus!

Warum dieser Albumtitel? Was soll denn an einer Liebe an schöner Literatur krank sein?
Der Titel des Albums leitet sich von dem Gedicht  "Was ich liebe " von Felix Dörmann ab, welches ich für eine Folge von Bacio-Di-Tosca-TV vertont habe. Bei dieser Folge waren wir im Städel Museum in Frankfurt am Main zu Gast und haben über die Ausstellung "Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst" berichtet. Das Gedicht spiegelt das Thema dieser Ausstellung sehr schön wider.

Heutzutage wird ja immer noch viel gelesen. Es hat sich allerdings einiges geändert. Der schwere Foliant ist dem platzsparenden E-Book gewichen, und der Geschmack der Leute tendiert eher zu Fantasy oder erotisch aufgeladenen Themen. Wie bewertest Du den Stellenwert der Literatur in unserer Gesellschaft?
Bei einem Blick in den Buchladen fällt natürlich auf, dass da vor allem der Unterhaltungswert im Vordergrund steht – Literatur als Ware. Besonders schade finde ich allerdings, dass diese Tendenz auch bei Kinder- und Jugendbüchern zu beobachten ist. Die äußerliche Aufmachung dieser Bücher ist oft sehr aufwändig und effektvoll und verspricht eine aufregende Geschichte, aber wie weit es mit "Inhalt" da wirklich her ist... Kinder- und Jugendbuchklassiker sucht man hingegen meist vergeblich und muss sie oftmals erst extra bestellen.

Du wirst mit Deinem neuen Album auch auf Tournee gehen. Wie sieht da die Adaption für die Bühne aus? Hast Du da schon einige Ideen?

Eine Tour haben wir eigentlich noch nie gemacht – wir bevorzugen Festivals oder einzelne Konzerte. Dieses Jahr werden wir mit unserem Label auch wieder einen Stand in der "Gothic Fashion Town" auf dem M‘era-Luna-Festival haben. Auf unserer eigenen kleinen Bühne werden dort etwa alle 30 Minuten zwei bis drei live gesungene Stücke von Bacio di Tosca zu hören sein. Die Übertragung zum Publikum findet dabei wieder als "Silent Concert" mittels Kopfhörern statt. Gerade die etwas feinzeichnenderen Klangwelten von Bacio di Tosca profitieren besonders davon. Abgesehen davon können wir mit Fug und Recht sagen, dass Bacio di Tosca die erste und bislang einzige Band mit einer EIGENEN Bühne auf dem M’era Luna Festival sein wird – das ist doch auch schon mal was!

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FOTO ©  UWE JOHANNSEN, SPENCER WRIGHT.


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