13/25: VOYNA, KARMA VOYAGE, COLD IN BERLIN, SPLEEN XXX, JULIE'S HAIRCUT - FINALE FURIOSO
Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025
Begonnen in den Wirren der Pandemie, hat Peer Lebrecht, eigentlich als Vorsteher der Gruftie-Musiker von Golden Apes bekannt, mit Voyna ein weiteres Betätigungsfeld aufgemacht und sich auf dem Erstling "The Cinvat Bridge" als nach allen Seiten offenen Musiker, der die stilistische Freiheit, die ihm das neue Seitenprojekt lieferte, sofort zu nutzen wusste. Vier Jahre später erscheint mit "Monsters" der Nachfolger, der im Vergleich zum Debüt noch eine Spur selbstischerer wirkt. Löste sich Lebrecht auf "The Cinvat Bridge" noch etwas zögerlich von seinen musikalischen Erfahrungen seiner Stammband, bringt er nun ein Album auf den Markt, bei dem die künstlerische Metamorphose noch ein Stückchen weiter vorangeschritten ist. Auf "Monsters" finden sich Songs, die teilweise mit dem synthetischen Pop-Sound der 80er Jahre liebäugeln, während Peers geschmeidiger Bariton als rückstandsloser Kitt funktioniert, um die Songs als schlüssige und vor allem gut hörbare Kleinode zu präsentieren, die in höhere Sphären aufzusteigen scheinen. Selbst das surreal anmutende Zwei-Minuten-Intermezzo "Some...times" mit seinen pastelligen Synthieflächen besitzt so viel Tiefe und musikalisches Feingefühl, dass man sich den Tönen nur hingeben kann. Kaum anders sieht es mit dem nachfolgenden "White" aus, bei dem man sich vor allem beim Intro an die elegante Synthie-Rock-Nummer "Lament" von Ultravox erinnert fühlt. Insgesamt bleibt "Monsters" ein Kopfhörer-Album, das vor allem auf Stimmung setzt und nicht auf die schnelllebige Disconummer. Zwar scheint Stücken wie "Mountains" immer noch die musikalische DNA der goldenen Affen durch, jedoch bringt es "Monsters" auf eine viel größere Eigenständigkeit, als es noch bei "The Cinvat Bridge" der Fall war. Für den Mastermind selbst ist aus dem einstigen Seitenprojekt ein durchaus ernstzunehmendes Unternehmen geworden, das spätestens jetzt von Kritikerzunft und Hörerschaft genauer unter die Lupe genommen werden sollte.
Ebenfalls während der Pandemie zusammengekommen sind Sänger Luca Castellaro und Gitarrist Giuseppe Brunetti - beziehungsweise schon einige Monate davor. Erst mit Dennis Ercole am Bass, Giovanni Bertiato an den Tasten und Stefano Anoé am Schlagwerk wurde aber aus dem ersten Treffen die Band Karma Voyage. Es sollte aber mehr als ein Jahr dauern, bis sie ihre ersten Singles veröffentlichen. Die Reaktionen fielen zu Beginn sehr positiv aus; ihr Album "Lights In Forgotten Places" war das erste Antasten an die musikalische Vision, die Karma Voyage vor ihren Augen hatte. Düster und gruftig sollte es klingen, aber auch psychedelisch und flirrend. Bei "Lands Beyond Eden" sind sie dieser Idee noch ein Stückchen näher gekommen. Als Freunde einer gediegenen Wall Of Sound lassen sie wie bei "All The Clocks Went Backwards" verhallte Gitarren und hypnotischen Rhythmen zu einer Einheit verschmelzen, deren Sogwirkung mehr als nur bemerkenswert ist. Luca nimmt dabei die Rolle des Mahners und Beschwörers ein; sein Organ ist dunkel und doch klar, steigt in "The Chamber" in luftigere Höhen, bleibt aber als Teil der Komposition vom Arrangement umarmt und steht nicht über ihm. Das macht die Songs von Karma Voyage zu ganzheitlichen Meditationen über mysteriöse bis bewusstseinserweiternde Ereignisse. Dabei umschiffen sie gekonnt mögliche Klischeeklippen, sodass "Lands Beyond Eden" keine Längen besitzt und wie aus einem Guss klingt. Natürlich besitzt UNTER.TON keine Glaskugel und kann daher auch nicht die Zukunft von Karma Voyage vorhersagen. Wünschenswert wäre es aber allemal, wenn die Italiener weiter diesen eingeschlagenen Weg beschreiten. Denn es beschleicht einen das Gefühl, dass diese Gruppe noch so viel zu geben hat.
Auch wenn es der Name vermuten lässt, haben Cold In Berlin nichts mit der bundesdeutschen Hauptstadt am Hut. Tatsächlich stammt die Band um Sängerin Maya Berlin aus London ist dort seit mittlerweile 15 Jahren eine feste Größe im Underground. Ihre vier Vorgängeralben zeichneten sich durch einen freien Umgang mit Genregrenzen aus. Cold In Berlin passt die Musik der Stimmung des Textes an, nicht umgekehrt, weswegen der einzige gemeinsame Nenner aller Stücke Mayas kraftvolles, anziehendes Organ ist, die nicht nur einfach singt, sondern die Emotionen der Songs live aus- und durchlebt. Auf "Wounds", dem fünften Album der Formation, gehen Cold In Berlin wie gewohnt den Weg des größten Widerstands. "Hangman's Daughter" steht bereits zu Anfang exemplarisch für die Philosophie der Band: Bedrohlich-wuchtige Drums, spärlich aber pointiert eingesetzte Elektronik und schneidende Gitarren sind der fruchtbare Boden, auf dem Berlins Stimme gedeihen und wachsen kann. Und das muss sie auch, denn ihr kraftvolles Organ benötigt Platz, um sich voll zu entfalten. So werden Stücke wie "They Reign" oder "We Fall" zu Beschwörungen, zu Ritualen und Berlin die Hohepriesterin der Zeremonie. Ihr exaltierter Duktus erinnert bisweilen an die verstiegenen Stücke von Lene Lovich oder Toyah, ist aber vor allem in heutiger Zeit ein Statement weiblichen Empowernments. "Wounds" ist an der Oberfläche ein enigmatisches, metaphorisch überladenes Album, das aber erst unter der Oberfläche so richtig zu brodeln beginnt. Und wenn wie bei "I Will Wait" sich Musik und Gesang zu einer ekstatischen Einheit verdichten, fragt man nicht mehr nach Genrezugehörigkeit, sondern gibt sich den intensiven Klangerlebnissen einfach nur noch hin. "Wounds" ist Manifest, Seelenstriptease und künstlerische Vergewisserung einer Band, die eigentlich viel zu lange als Geheimtipp gegolten hat.
Dass Frankreich über eine veritable Cold-Wave- und Post-Punk-Szene verfügt, wissen wir nicht erst seit gestern. Bereits in den 80ern haben Bands wie Kas Product oder Charles De Goal den frankophilen Düstersound entscheidend geprägt. So gesehen betreibt Spleen XXX aus der schönen Stadt Rouen vorbildliche Kulturpflege, da sie das Erbe weitertragen. Was aber schnell in ein peinliches Epigonentum hätte abdriften könnte, erweist sich auf "Agony Of A Shadow" als wohldurchdachte Reminiszenz mit hohem kreativen Eigenanteil. Schon ihr Debut "Poems Of Charles Baudelaire", das dem vielleicht bedeutendsten französischen Poeten am Vorabend der Moderne ein melancholisches Denkmal setzte, ließ das Talent der Jungs erahnen. Mit dem neuen Werk haben sie die Gegenwart fest im Blick, aber mit der gleichen pessimistischen Eistellung wie der Schriftsteller rund 200 Jahre zuvor. Denn "Agony Of A Shadow" rechnet gnadenlos mit unserer bisweilen erschreckend inhumanen Gesellschaft ab und ergründet in den introspektiven Momenten Verlust und Einsamkeit. All das geschieht mit sehr gradlinigen Kompositionen, die sich an die Urväter Sisters Of Mercy, Killing Joke oder auch The Mission anlehnen. Besonders spannend wird es, wenn Mastermind Isthmael B. in seiner Muttersprache singt. "Sans Humanité" kommt mit rollendem Bass, gespenstischen Gitarren und stoischem Schlagwerk daher und wirkt dunkel und voll von Hoffnungslosigkeit. Selbst die sonst in unseren Ohren so melodiöse französische Sprache transformiert sich zum Requiem unserer Zivilisation. Großartige Stücke mit vielen einfachen, aber zündenden Ideen machen "Agony Of A Shadow" zu einem must have - nicht nur, aber vor allem für Liebhaber traditioneller Trübsinnsklänge.
Vor rund 30 Jahren haben sich Julie's Haircut im italienischen Sassuolo gegründet und sich durch eine sehr eigenwillige Soundmische aus verschiedenen Stilen der Rockmusik ausgezeichnet. Es mag daher nicht sehr verwundern, dass der Band mit dem eigenwilligen Namen auch nie der große Erfolg beschieden war. Zu ausgefallen, zu freigeistig und sprunghaft wirkt das gesamte Oeuvre, sodass sie mit jedem weiteren Album neue Fans gewannen, aber alte wieder verloren. Doch wer Schubladendenken über Bord wirft und sich einfach nur den kompositorischen Schönheiten hingibt, erkennt die Großartigkeit hinter Julie's Haircut. Diese haben sich mit "Radiance Opposition" ein weiteres Mal neu erfunden. Grund dafür dürfte auch die neue Sängerin Anna Bassey sein, halb Italienerin, halb Nigerianerin, die mit einer durchdringenden, gleichwohl filigranen Stimme über den Kompositionen thront. Diese nähern sich durch einen vermehrten Einsatz elektronischer Instrumente und aufgrund den schummrig-psychedelischen Klänge Trip-Hop-Ikonen wie Massive Attack an, weniger in ihren Sounds, aber in der melancholischen Grundstimmung. Zweifelsfreier Höhepunkt von "Radiance Opportunity" ist "To The Sacred Mantle", ein amorpher Track mit analogem Synthiefiepen, fortlaufend dröhnender Basslinie und angedeutet nahöstlichen Tonelementen. Wohingegen "Unit Circle" als Vorabauskopplung goldrichtig gewählt worden war, da diese Nummer das meiste Pop-Appeal besitzt. Vom Rock früherer Tage künden zwar immer noch die eingesetzten Gitarren. Diese haben aber wie in "Extinction Of The Sun" nur noch eine untergeordnete Rolle und beschränken sich lediglich auf flächige Riffs, um eine hypnotische Stimmung zu erzeugen. Alles wieder anders, alles wieder neu bei Julie's Haircut. Immer der gleiche "Haarschnitt" wäre auf Dauer auch etwas langweilig.||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 13.12.25 | KONTAKT | WEITER: TOM SMITH VS. SAM SALMON & THE GRAND MANAN BANDITS>
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Covers © Aenaos Records (Voyna), Karma Voyage, New Heavy Sounds (Cold In Berlin), Meidosem Records (Spleen XXX), Weird Beard Records (Julie's Haircut)
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© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014