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AXEL MESSSINGER: "WANN HÖRT GESUNDER IDEALISMUS AUF, WO FÄNGT UNGESUNDE SELBSTAUSBEUTUNG AN?"

Im Gespräch > AXEL MESSINGER

Über eine Szene oder Subkultur nur zu reden, können viele. Sie als passioniertes Mitglied aktiv mitzugestalten, geschieht eher selten. Und diese haben es auch nicht immer leicht. Axel Meßinger beispielsweise gibt in seinen "At Sea Compilations" weniger namhaften, aber nicht minder talentierten Bands und Musikern eine großartige Plattform, um entdeckt zu werden. Bislang konnte der Hörer diese Sampler kostenlos gegen eine freiwillige Spende herunterladen. Seit kurzem hat Axel sich jedoch dazu entschieden, seine Sampler nur noch gegen eine - immer noch sozial verträgliche - Zahlung freizugeben. Ein Gespräch über Selbstausbeute, digitale Spendenhüte und einem "ungeliebten Ausspruch eines noch ungeliebteren Präsidenten der USA".

Axel, vor ziemlich genau zwei Jahren haben wir uns über Deine At-Sea-Compilations unterhalten, die Du dem Hörer kostenlos als Download gegen eine freiwillige Spende zur Verfügung stelltest. Dieses Jahr hast Du Dein Geschäftsmodell geändert und gibst Deine Sampler nur noch gegen Zahlung frei. Was hat Dich zu diesem Schritt bewogen?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Mehrere Faktoren spielen da eine Rolle. An erster Stelle steht natürlich die Frage: Wann hört gesunder Idealismus auf, wo fängt ungesunde Selbstausbeutung an? Die Antwort auf diese Frage wird jeder für sich unterschiedlich beantworten. Ich habe zum Schluss bemerkt, dass ich schon seit einer ganzen Weile diese Grenze überschritten habe. Nämlich durch folgende Tatsache: Im Vorfeld solch einer Veröffentlichung vergehen mindestens vier Monate. Der größte Zeitposten ist sicherlich die Recherche. Gerade wenn man den Anspruch hat, sich nicht ständig zu wiederholen. Es ist ja nicht nur das Recherchieren der Musik, sondern auch das Anschreiben der Bands und Musiker, von denen auch nicht jeder zusagt - weil er nicht interessiert ist oder sich nicht meldet. Zudem müssen natürlich auch Mastering und Design gemacht werden, auch wenn ich diese nicht selbst mache - aber auch hier muss ein guter Rhythmus mit Danijel, Ralf, Maria & Co. eingetaktet werden. Wenn ich am Ende dann noch finanziell auf die Veröffentlichungen drauf zahlen muss, dann ist meine Grenze überschritten. Ich bin kein reicher Mensch, die Veröffentlichungen müssen mindestens kostenneutral bleiben. Die Downloadzahlen in den Jahren sind zwar durchaus gestiegen, die Spendenbereitschaft aber hat abgenommen. Da muss ich gegensteuern und mir, aber auch den Menschen, klar machen: Dieses Projekt ist nicht selbstverständlich – auch nach knapp fünf Jahren nicht. Wenn sich die "At Sea Compilations" am Ende nicht rechnen, muss ich es zumindest stark zurückfahren. Und das wäre schade.

Wie sieht dieses neue Geschäftsmodell konkret aus?
Konkret sieht es so aus, dass Einzelcompilations drei Euro und Doppelcompilations fünf Euro kosten werden. Das ist natürlich für sich genommen immer noch nicht viel, aber ich hoffe, durch den wirklich fairen Preis am Ende die Kosten wieder rein zu bekommen. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, wie es ist, mit wenig Geld zu haushalten. Ich denke, dass dieser Betrag für eine gute Produktion nicht zu hoch ist. Dann habe ich mir noch folgendes überlegt: Sollte eine Compilation 200 bis 250 Euro Umsatz machen (den genauen Punkt muss erst die Praxis zeigen), würde nichts dagegen sprechen, diese dann wieder kostenlos anzubieten. Da habe ich aber von verschiedenen Seiten den richtigen Einwand erhalten, dass womöglich die Hörerschaft schlicht warten wird in der Annahme, dass die Veröffentlichung irgendwann gratis verfügbar ist. Wäre es also besser, gleich nach dem Motto ganz oder gar nicht zu gehen? Vielleicht. Das wird einfach die Zeit zeigen. Es gibt noch einen weiteren Weg: Wer mindestens 25 Euro als Spende dem Projekt zukommen lässt, erhält für ein Jahr den Supporter-Newsletter inklusive der Codes zur Freischaltung der aktuellen Sampler auf Bandcamp – pünktlich zum Veröffentlichungstermin. Zudem habe ich mir überlegt, alle zwei Monate einen Newsletter herauszugeben mit kleinen Vorstellungen von Bands, die auf zukünftigen Samplern vertreten sein werden. Überdies möchte ich die Fans über Musiker und Gruppen informieren, die es aus verschiedenen Gründen nicht auf eine Veröffentlichung geschafft haben, aber Wert sind, sie kennen zu lernen. Wäre also für diejenigen interessant, die kein Facebook nutzen und trotzdem auf dem Laufenden bleiben wollen. Man könnte das Ganze auch als eine Art 'Jahresabo' betrachten – für alle, die lieber einmal im Jahr etwas zahlen und sich dann nicht mehr drum kümmern wollen.

Gilt diese Änderung auch für die alten Veröffentlichungen?
Nein, die bleiben frei. Ich will ja auch niemanden etwas wegnehmen. Die Änderung dient ja dazu, zukünftige Veröffentlichungen finanzieren zu können.

Wie sehr hast Du damit gerungen, diesen Schritt zu gehen? Immerhin warst Du in unserem damaligen Interview von Deinem Modell der freiwilligen Spende sehr überzeugt...

Ich habe durchaus gerungen, denn ich bin kein großer Fan von so genannten Paywalls. Aber wie schon gesagt: Selbst ein überzeugter Antikapitalist wie ich muss am Ende darauf achten, dass das Projekt tragfähig bleibt. An einem gewissen Punkt stand ich also vor der Entscheidung: Entweder es ändert sich etwas oder ich stelle ernsthaft die Zukunft dieser Reihe aufs Spiel. Und da ich in den vergangenen zehn Jahren immer wieder geniale Projekte gesehen habe, die aufgrund zu großer Selbstausbeutung eingestellt werden mussten, war für mich am Ende des Tages die Entscheidung klar.

Bist Du im Umkehrschluss nicht auch ein wenig frustriert, dass die Menschen zwar von Deiner Arbeit profitieren, sie es Dir aber nicht wirklich in Form eines kleinen Obolus gedankt haben?
Frustration ist das falsche Wort. Vielleicht Enttäuschung? Aber auch das trifft es nicht wirklich, denn am Ende gehörte ja zum Konzept mit den freiwilligen Spenden auch, dass es viele gibt, die das eben nicht machen. Es ist auch schwer, über das Internet jemanden zu motivieren, etwas in den virtuellen Hut zu werfen. Im analogen Leben, etwa bei Konzerten, geht das einfacher. Hast du bei einem Konzert auf Hut-Basis je jemanden gesehen, die nicht mindestens einen oder zwei Euro in diesen wirft? Ich nicht! Wahrscheinlich funktioniert das Internet aufgrund der Distanz und Anonymität dann wohl doch anders. Vermutlich muss man mehr mit klaren Ansagen arbeiten. Und am Ende stellt sich natürlich auch die Frage nach dem Wert dieser Veröffentlichung.

Gab es schon Reaktionen auf deinen Entschluss seitens der Hörerschaft?
Tatsächlich kamen eine ganze Reihe Mails, nach dem ich den Newsletter mit der Änderung des Geschäftsmodells versendet habe. Durchgängig gab es viel Verständnis zu dieser Entscheidung, häufiger haben die Menschen auch geschrieben, dass sie doch auch ein schlechtes Gewissen haben – weil sie das Angebot mit den Jahren tatsächlich als eine Selbstverständlichkeit verbucht haben. Das stimmt optimistisch, aber ich hoffe natürlich, dass es da nicht nur bei warmen Worten bleibt.

Ändert sich durch das geänderte Geschäftsmodell auch die Recherchearbeit und Verhandlungen mit den Bands, die auf Deinen Compilations erscheinen sollen?
Eigentlich nicht, nein. Ich habe von einem Großteil der Musiker nur Zustimmung für diese Entscheidung bekommen. Denn sie können ja am besten nachvollziehen, was hinter solch einem Release für Arbeit steht. Wie immer ist es wichtig, von vornherein mit offenen Karten zu spielen. Nur sehr vereinzelt gab es Musiker, die gesagt haben, dass sie dann in Zukunft nicht mehr auf einer Compilation erscheinen wollen. Aber das waren bisher Ausnahmen. Eine theoretische Alternative wäre ja auch gewesen, zukünftig von Musikern Geld zu nehmen. Aber das wäre in der Tat von der falschen Seite gewesen.

In unserem ersten Gespräch hast Du auf die Frage, wohin sich die Schwarze Szene in Zukunft bewegen wird, folgendes geschrieben: "Die Szene selbst wird sich noch mehr fragmentieren. Ich denke, dass in ein paar Jahren vielleicht noch ein kleiner Teil übrig geblieben ist, aber die ganz großen Geschäftemacher werden weitergezogen sein." Wie siehst Du die Entwicklung heute?

Also zumindest mit der Fragmentierung habe ich ja Recht behalten. Die ist weiter vorangegangen. Dazu kommt, dass ich doch einen neuen Optimismus in der Szene sehe. Die Menschen sind meines Erachtens wieder offener für neue Musik geworden. Es spricht sich herum, dass es neben den Output der bekannten Labels eben noch eine sehr große, weitere Musikszene gibt. Selbst den Spontis-Blog nehme ich als Indikator für den harten Kern der deutschen Szene nicht mehr als ganz so kulturpessimistisch wahr. Und wenn wir uns beispielsweise das Lineup des diesjährigen Wave Gotik Treffens anschauen, waren schon viele tolle Bands bei. Andererseits lässt sich nur noch schwer alles mit einem bestimmten Oberbegriff subsumieren. Und das ist auch richtig so, denn nur dann kann Kunst wirklich leben, kann Kunst lebendig sein. Ich denke, dass da noch eine große Menge Arbeit vor uns steht, um der Entwicklung einen würdigen Rahmen zu geben. Einen Rahmen, der eben nicht einengend, ausschließend und ignorant wirkt. Sondern der integrativ und formbar bleibt ohne in die Beliebigkeit abzudriften oder die Wurzeln zu vergessen.

Wie soll dieser aussehen?
Ich plädiere seit jeher dafür, nicht nach altem Schubladendenken zu agieren. Denn diese Denke war es erst, die meiner Meinung nach die Szene über viele Jahre in den kreativen Stillstand katapultierte. Frei nach einem ungeliebten Ausspruch eines noch ungeliebteren Präsidenten der USA: Creativity First! In der Zukunft muss dieses Motto Grundlage unserer Szene sein und deren Protagonisten sollten es sich, jeder auf seine Weise, auf die Fahnen schreiben. Nur wenn wir das beherzigen, kann eine alternative Szene weiter wachsen. Wir müssen endlich weg von der urdeutschen Frage, was alles nicht funktionieren kann und hin zu der weitaus wichtigeren Überlegung, was alles funktionieren könnte und wie wir das am besten umsetzen.

||INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 04.08.17| KONTAKT | WEITER: HOWARD JONES VS. BRONSKI BEAT >

ZULETZT HAT AXEL MIT "MIAMI SYNTHWAVE RADIO" EINE WUNDERBARE SAMMLUNG SCHRULLIGER SYNTHIEPOPNUMMERN ANGEFERTIGT, DIE MEHR NACH ACHTZIGER JAHRE KLINGEN, ALS ES DIE DEKADE SELBST JEMALS GESCHAFFT HAT. ES IST DER LETZTE KOSTENFREIE SAMPLER UND ZU BEKOMMEN UNTER:

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FOTO © AXEL MESSINGER.


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