Retro, Baby! In diesem November geben, ganz klar, die alten Hasen des Pop-Business den Ton an. Nach teils jahrelanger Abstinenz bequemte man sich also wieder ins Studio, um der Welt neue Musik zu schenken. Nur, ganz ehrlich: Hat es diese unverhoffte Nachspiel-Zeit jetzt wirklich gebraucht?
Das fragen wir uns in erster Linie bei den Herren von Pink Floyd, deren aktuelles Album immerhin seit Monaten sehnlichst erwartet wird.
Dieses – nun ja – sehr "bedächtige" Alterswerk trägt den poetischen Plätscher-Titel "Endless River"; und so klingen die überwiegend instrumentalen Stücke dann (leider) auch: Wie ein weitläufiges, sich endlos lang hinziehendes Gewässer. Die Songs kommen leider nicht annähernd in Schwung – und dümpeln einfach so, immer kurz vor der Ohnmacht stehend, dahin. Eine überflüssige Flussfahrt.
Etwas mehr Hoffnung keimt dagegen bei den Vorzeige-Stadionrocker der 1980er, Simple Minds, auf.
Sie melden sich mit einem Album zurück, das doch recht großspurig mit dem Etikett "Big Music" versehen wurde. Mit den Openern "Blindfolded" und "Midnight Walking" scheinen die Simplen Gemüter dieses Versprechen zunächst durchaus einzulösen. Jedoch geht den Mannen gegen Ende dann doch wieder die Luft aus. Extrem elektronisch, teilweise auf Sicherheit bedacht und ohne unbedingten Willen zum absoluten Hit der Marke "Don't You", "Waterfront" oder "New Gold Dream". Das war damals nämlich tatsächlich "Big Music". Dem aktuellen Werk fehlt es jedoch weitestgehend an dieser Größe.
Vielleicht schafft es aber wenigstens der letzte Pop-Dandy, die Ehre der Alten Garde aufrecht zu erhalten: Bryan Ferry.
Als schillernder Frontmann der Art-Rocker von Roxy Music läutete er bereits Ende der 1970er den New Wave ein, und veröffentlichte als stilsicherer Dressman den perfekten Yuppie-Sound für Anzugträger und Miami-Vice-Liebhaber. Mit "Avonmore" kehrt Ferry nun genau in diese Zeit zurück: Das Cover mit einem adoleszenten Ferry, vielleicht so um die 25 Jahre jung, liefert einen sachdienlichen Hinweis auf den Inhalt der Platte. Ferry will hier offensichtlich an die Erfolge von "Boys And Girls" anknüpfen, scheitert dabei allerdings grandios. Stattdessen säuselt sich der Beau durch schwüle Rhythmen, die stark an abgehalfterte Bars mit leicht verblasster Plastikpalmen-Deko erinnern. Lediglich der Titelsong nimmt etwas Fahrt auf und zeigt, wo es mit Bryan Ferry Anno 2014 hätte hingehen können. Für einen kurzen Moment keimt berechtigte Hoffnung auf. Dann jedoch folgt ein saft- und kraftloses Cover-Finale mit Robert Palmers "Johnny And Mary", bei der man irgendwie ständig das Gefühl hat, Ferry könnte jede Sekunde vor dem Mikro einschlafen.
Wenn es die Alten alleine nicht hinbekommen, dann vielleicht im Verbund mit der Generation Sturm und Drang. So geschehen bei der x-ten Auflage des unvermeidlichen Benefiz-Schlagers, "Do They Know It's Christmas?".
Wie immer mit von der Partie: Bob Geldof, Co-Schreiber Midge Ure und Pop-Sozialarbeiter Bono von U2. Zusammen mit den Aufsteigern der letzten Jahre, darunter One Direction, Bastille, Ed Sheeran, Paloma Faith und Sam Smith stimmen sie an gegen die Ebola-Epidemie in Afrika. Es ist eigentlich ein sehr schöner Gedanke, mittels Musik die Menschen zum Spenden zu bewegen. Und das einträchtig-besinnlich gehaltene Video mag dann auch das Gemüt so manches Gutmenschen liebevoll streicheln.
Doch der Zauber des Anfangs, den das Stück vor 30 Jahren noch besaß, ist dieser Tage längst verpufft.
Es mehren sich kritische Stimmen, die in so einem Zusammenschluss eine reine PR-Nummer der einzelnen Künstler vermuten, die zwar für ihre "Do They Know It's Christmas?"-Stippvisite keinen müden Euro erhalten, dafür aber unter Garantie einen belebten Umsatz ihrer eigenen Werke zur Weihnachtszeit verbuchen können. Ganz von der Hand abzuweisen ist dies nicht. Mehr noch aber wäre ein frischer, unverbrauchter Song wünschenswert gewesen.
Hierzulande wagen sich übrigens Hosen-Sänger Campino, Songwriter Thees Uhlmann und Rapper Marteria an diesen unverwüstlichen Klassiker der Vorweihnachtszeit.
Alle durften hier mal ran: Michi Beck von den Fanta 4, 2raumwohnung, Adel Tawil, Peter Maffay, Max Raabe, Cro, Patrice und, und, und. Über die deutsche Version brauchen wir nicht diskutieren; sie wirkt in allen Belangen hilflos zusammengeklöppelt und animiert ehrlich gesagt nicht gerade zum Erwerb dieses Liedgutes.
Also reden wir lieber über Campino, der als einer der führenden Organisatoren des Projekts in den vergangenen Tagen schon jede Menge Kritik einstecken musste.
Dementsprechend dünnhäutig nahm der Hosen-Denker dann letzte Woche im Sendestudio von 1Live Platz... und explodierte am Ende voller Wut. Sicherlich steht dieser Sender nicht gerade als Inbegriff des investigativen Journalismus. Die Frage des Moderators, an welche Organisation das erspielte Geld denn nun konkret ginge, als "dusselig" zu bezeichnen, ist jedoch auch nicht wirklich die feine englische Art.
Am Ende des Tages kommt dann eben doch wieder der Punker von früher bei Campino hoch, egal wie glattgebügelt seine Musik mittlerweile auch sein mag. Irgendwie ein tröstlicher Gedanke.
Den Ausraster könnt ihr übrigens hier nachhören.
Um die schlechte Laune zu vertreiben, legen wir dem durch weichgespültes Radio-Gewäsch arg strapazierten Rebellen-Gemüt dann einfach mal ‘nen Rozencrantz ans Herz.
Die Gruppe aus Osnabrück überraschte dieser Tage nämlich mit einem grundsoliden, kraftvollen Rock-Album, das sich "Drunk On Revolution" nennt. Wenig Schnörkel, dafür breitwandig und unglaublich straight - Rozencrantz gelingt nur zwei Jahre nach ihrem letzten Werk "Tears Black Reign" ein intensives Werk, das auch das Ergebnis eines tragischen Schicksals ist: Bassist Horatio erlitt 2012 einen Unfall, ist seitdem an einen Rollstuhl gefesselt. So etwas geht natürlich auch an den Mit-Musikern nicht spurlos vorbei: Bei Stücken wie "Into Silence", oder dem Zwei-Minuten-Krawall-Fetzen "Drunk On Revolution", wird nicht nur der unerbitterliche Kampf der Truppe mit ihrem Schicksal hörbar, sondern, mit einer klaren Jetzt-erst-recht-Attitüde, auch ihre Lust am Leben. Diese überträgt sich, dankenswerterweise, spätestens zum kraftstrotzenden Finale hin auch auf den Hörer.
Zum Schluss blicken wir in die Zukunft der Musikerzeugung - und die liegt in unseren eigenen Händen.
Genauer gesagt: In der schillernden Form eines Handschuhs. Davon jedenfalls sind Henning Lohse und Jan-Lukas Tirpitz überzeugt. Die beiden Studenten aus Heidelberg entwickelten einen Handschuh, der ein komplexes Musikprogramm lediglich durch Bewegungen der Arme und Hände steuern kann. Mittels Bluetooth werden diese Daten zum Rechner übertragen und in Töne umgewandelt. Zwar ist der "DJ Handschuh" noch nicht spruchreif, soll aber im Laufe der Zeit bis zur Serienreife weiterntwickelt werden. Die ersten Tests sind mehr als beeindruckend. Wer mehr über die Wissenschaft dahinter erfahren will, kann das (natürlich) im Internet nachlesen.
|| TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 30.11.2014 | KONTAKT | WEITER: POSTPUNK-COMPENDIUM "SOME WEAR LEATHER, SOME WEAR LACE"
BILDER © PARLOPHONE/WARNER (PINK FLOYD), EMBASSY OF MUSIC/WARNER (SIMPLE MINDS), BMG/ROUGH TRADE (BRYAN FERRY), TIMEZONE (ROSENCRANTZ).
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