MUSIKSPIEGEL 02/2015: IN LICHT UND SCHATTEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü

MUSIKSPIEGEL 02/2015: IN LICHT UND SCHATTEN

Kling & Klang > MONATS-REVUE

"Elektronische Musik Made in France" – unter diesem Titel ließen sich ganze Buchreihen veröffentlichen. Schließlich besitzt unser Nachbarland eine ganz eigene Vorstellung davon, wie Synthesizer und Musikprogramme zu fiepen und surren haben. Es braucht nicht mal mehr den Blick ins Booklet, um sich zu vergewissern: Die französischen Klangtüftler haben über Jahrzehnte lang eine eigene musikalische Sprache entwickelt, um die man sie durchaus beneiden kann.

Was Jean-Michel Jarre – damals natürlich noch sehr Kraftwerk-affin – begonnen hat, geht mit Rone nun in einen neue Phase.


Sein drittes Album "Creatures" ist ein wahres Opus Magnum elektronischer Klangvirtuosität:
Wild fließende Arpeggis (wie bei "Ouija") wechseln mit Shoegaze- und Dream-Pop-Elementen ("Sir Orfeo"). Rone gibt seinen Stücken tatsächlich so viel Raum, dass sie sich wie Sturzbäche über den Hörer ergießen können. Insbesondere vor einer hochwertigen Heimklanganlage entfaltet das Album eine magische Kraft.

"Creatures" zeigt überdies deutlich, dass es im Land von Rotwein und Baguette noch deutlich mehr zu entdecken gibt, als den immer wieder gern zitierten French House von Daft Punk.

Eher erinnert "Creatures" an ein synthetisches Pendant zu Yann Tiersens romantischen Melodie-Kaskaden. Dabei gerät das Album immer gern in leichte  Schräglage; ist unangepasst, überraschend, verblüffend, kurz gesagt: Verrückt - im positiven Sinne!

Dieses Prädikat gilt auch für EZ3kiel, die den Beweis antreten, dass es in Frankreich nicht nur knarzig-frickelige Elektronik, sondern auch schwelgerischen Post-Rock und Trip-Hop zu bestaunen gibt.


Die Band aus Tours gehört dabei schon zum alten Eisen:
Seit 1993 besteht die anfänglich noch im Punk verwurzelte Truppe um Initiator Yann Nguema. "Lux" ist ihr mittlerweile zehntes Album – und was für eins!

Auch hier stehen die
Stücke immer auf der Kippe, weil sie überladen klingen. Und doch hält sich alles irgendwie die Waage, was letzten Endes auch die Faszination und Dynamik dieses Albums ausmacht: Das Projekt versteht sich blendend auf einen Mix aus ätherisch-schwebenden Synthesizern und fräsenden Saiteninstrumenten.

So dröhnt der Titelsong mit schwer atmendem Schlagwerk und kreischender E-Gitarre aus den Boxen, während auf "Anonymous" völlig weltentrückte Soundscapes dominieren, die so klingen, als seien sie im Halbschlaf entstanden – also jener Phase, in der die Realität langsam mit den Traumkonstrukten unseres Geistes verschmilzt.

Trotz dieser unterschiedlichen Stilrichtungen erkennt man die klare Handschrift bei EZ3kiel.


Das mag wohl auch der Grund sein, warum die Band in ihrem Heimatland locker große Hallen füllen kann. Wird daher langsam Zeit, dass die Gruppe auch hierzulande größere Bekanntheit erlangt: Ihr unkonventioneller aber spannender Genremix bereichert nämlich die Musikszene.

Bei Tanzwut jedoch von einer Bereicherung zu reden, würde bedeuten, die Sachlage stramm zu verkennen.


Nun gut, vielleicht muss da auch mit zweierlei Maß gemessen werden: Ihr neuestes Machwerk "Freitag, der 13." will wohl in erster Linie einfach nur den gemeinen Schwarzkittel unterhalten.

Denn wenn dieser ein bisschen zu tief ins Met-Horn geschaut hat, wird sicherlich auch ihm eigenartig feierlich zu Mute sein – aller depressiven Noblesse zum Trotz.

Das ist der Moment für Tanzwut, das rammsteinige Medieval-Rock-Seitenprojekt von Corvus Corax.

"Freitag der 13." erschien – wen überrascht's – am Freitag, den 13. Februar und beinhaltet – oh Schreck, oh Graus! – 13 Lieder. Schnell mal das Salz über die Schulter geworfen, damit einem nicht allzu viel Übles widerfährt.

Doch Spaß bei Seite: Der gefällige Mix aus harten Gitarrenriffs und Dudelsack besitzt keinerlei Innovation und verharrt im tumb-teutonischen Partygefühl. Ballermann-Rock für den Freizeit-Grufti eben.

Wie bereits Schandmaul oder Subway To Sally, so setzen auch Tanzwut auf veritable Mitgrölnummern ("Brüder Im Geiste", "Vorbei ist Vorbei"). Handwerklich einwandfrei, aber wenig abwechslungsreich: Folk-Rock von der Stange.

Abseits der Neuerscheinungen muss an dieser Stelle leider wieder einem Mann gedacht werden, der die Welt viel zu früh verlassen hat: Steven John Harrington alias Steve Strange.


Als Frontmann der Gruppe Visage
erlangte er mit seinem frei interpretierten Pierrot-Kostüm im Video zu "Fade To Grey" internationale Berühmtheit - und wurde zum pittoresken Aushängeschild der nihilistischen New Romantics.

Die eigentlichen Meister verbargen sich aber hinter der Nummer: Der Song stammt aus der Feder von Billie Currie, der Text von Midge Ure. Beide sollten kurze Zeit später die zweite, kommerziell erfolgreichere Phase von Ultravox nach dem Weggang von John Foxx einläuten.

Strange war aber nicht nur bloßes Modepüppchen: Mehr noch zog der Mann, getrieben vom Sinn nach einem nach ästhetischen Punkten ausgerichteten Leben, die Fäden im Hintergrund.


Bereits Ende der 70er Jahre veranstaltete er zusammen mit Rusty Egan (der dann auch bei Visage mitmachen sollte) im damals angesagtesten Londoner Club "Blitz" ausschweifende Parties, bei denen Bands wie Duran Duran oder Spandau Ballet ihre ersten Auftritte absolvieren konnten.

Als bunter Türsteher suchte er die Leute aus, die am skurrilsten aussahen, was dem "Blitz" etwas Elitäres verlieh – und die Gäste schließlich als "Blitz-Kids" labelte.


Selbst David Bowie ließ sich von Steves über-künstlichen Aura inspirieren: Im Video zu "Ashes To Ashes" wirkt Strange im Hintergrund mit.


Wie auch der New Romantic, so war Visage höchst kurzlebig: Nach rund vier Jahren gehörte das Projekt bereits der Popgeschichte an.

Der Paradiesvogel indes setzte sich Mitte der 80er nach Ibiza ab, wo er sich in der aufkeimenden Trance-Szene mit weiteren Veranstaltungen keine Ruhe gönnte. In dieser Zeit griff er auch zu harten Drogen wie Kokain und Heroin. Ende der 90er machte Strange, vom exzessiven Lebenswandel deutlich gezeichnet, durch negative Presse von sich reden: Diebstahl, Obdachlosigkeit...

E
in vormals strahlender Stern war nur mehr ein Schatten seiner selbst.

Auch seine letzten Versuche, Visage zu reanimieren, scheiterten. Die Alben "Hearts And Knives" sowie "Orchestral", ein völlig missglückter Versuch, alte Visage-Hits in ein pompöses Orchester-Gewand mit Synthesizer-Applikationen zu packen, fanden kaum Beachtung.

Steve Strange starb im Alter von nur 55 Jahren am 12. Februar in einem Krankenhaus im ägyptischen Scharm El-Scheich an Herzversagen.

Schon längere Zeit nicht mehr unter uns weilt Ian Curtis.


Doch der tragische Held der Post-Punk-Bewegung erlebt seit vielen Jahren ein anhaltendes Revival:
Sei es in Form wiederveröffentlichter Joy-Divison-Alben oder aufgrund des beeindruckenden Bio-Pics "Control" von Anton Corbijn.

Curtis' letztes Haus in Mecclesfield besitzt für geneigte Enthusiasten ebenso viel Anziehungskraft, wie für die Kraftwerkianer die Mintorpstraße 16 in Düsseldorf, dem ehemaligen Sitz des Kling-Klang-Studios.

In Curtis' Bleibe entstanden schließlich nicht nur die Songs: Von Epilepsien geplagt und kurz vor einer Scheidung stehend, setzte er dort seinem Leben ein Ende, indem er sich am 18. Mai 1980 in seiner Küche erhängte.

Dieser für Fans geschichtsträchtige Ort soll nun zu einem Museum umfunktioniert werden – zumindest, wenn es nach dem Wunsch eines glühenden Curtis-Anhängers geht.

Per Crowdfunding sucht er nun nach Gleichgesinnten, die es ihm ermöglichen, das Haus zu kaufen und zu renovieren. 150.000 Pfund werden benötigt; momentan stehen aber nicht einmal 2.000 Pfund auf der Habenseite. Bis Ende März muss die Summe erreicht werden; andernfalls lässt sich dieses ehrgeizige Projekt nicht realisieren. Wer sich daran beteiligen möchte, kann sich hier informieren.

||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 20.03.15 |  KONTAKT |  WEITER: MUSIKSPIEGEL 01/2015 >

COVER © INFINÈ/RTD (RONE), ICI D'AILLEURS (EZ3KIEL), AFM/SOULFOOD (TANZWUT).


AKTUELLE REVIEWS AUF UNTER.TON
MARSHEAUX "INHALE"
THEN COMES SILENCE "NYCTOPHILIAN"
MIND.IN.A.BOX "MEMORIES"
EISFABRIK "WHEN WINTER COMES"
SARA NOXX "ENTRE QUATRE YEUXX"
SAMPLER "SOMBRAS: SPANISH POST PUNK + DARK POP 1981-1986"
NOYCE™ "FALL[OUT]"
MARCUS RIETZSCH "SCHON UNSER HEUT EIN GESTERN IST: DER ZAUBER DES VERFALLS"
PAUL ANSTEY/BLOMA "BLOMA"
GOTH-KOMPENDIUM "SOME WEAR LEATHER, SOME WEAR LACE"



<<  HOME ||  UNTER.TON AUF FACEBOOK: FAN WERDEN - UND IN KONTAKT BLEIBEN! >>


Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.


                                                                           
   © ||UNTER.TON|MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR| IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||


SUCHEN? FINDEN!
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü