MUSIKSPIEGEL 01/2015: STYLER, SCHOCKER, SKATEBOARDS - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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MUSIKSPIEGEL 01/2015: STYLER, SCHOCKER, SKATEBOARDS

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Die elitär-sophistischen Geschmacks-Vordenker des "Rolling Stone"-Magazins blickten in ihrer Januar-Ausgabe unter anderem auf die Festivalkultur des Dichter-Denker-Landes. Mit höchstkritischem Auge, versteht sich. Schließlich sei die Menge solcher Großveranstaltungen äußerst ungesund – für Künstler und Veranstalter in gleichen Maßen. So weit, so bekannt.

Mit Blick auf die durchaus zahlreichen Großveranstaltungen der Schwarzen Szene entfleuchte aus des Schreibers Feder doch tatsächlich das Wort "Styler" als flachgespültes Synonym für die sinistren Besucher von Wave-Gotik-Treffen, M'era Luna und Co.

Die Gruftis sind "Styler"? Mon Dieu! Welch' ein Exzess!


Allerdings: So ganz Unrecht hat der gute Mann nicht, bringt doch dieser Begriff die komplette Misere einer Bewegung auf den Punkt, die sich A
nno 2015 mehr oder minder unreflektiert einem stillschweigenden Mode-Diktat unterworfen hat und nur mehr entfernt an jene subkulturell-revolutionäre Jugendbewegung erinnert, die Gothic in seinen Anfängen zweifellos gewesen ist.

Mittlerweile geraten solche Feste aber eher zum Schaulaufen schwarzgetünchter Eitelkeiten.

Egal, ob klassischer Spitz-Stiefel, fetisch-befeuerndes Lack-Korsett oder militaristische Camouflage-Hose: Große Marken- und Modehäuser bestimmen bereits das dunkel-düstere Erscheinungsbild nach kurzweiligem Belieben. Musikalisch sieht es da meist nicht anders aus.

Die einstigen Gralshüter des Fetisch-Gothic-Rocks, Umbra Et Imago, sind mittlerweile zu ihrer eigenen Satire geworden.


Daher erwartet man auch nicht mehr viel Neues von Mozart
und seinen Mannen. Ihr neues Werk "Die Unsterblichen" ist dementsprechend vorhersehbar in Klang und Wort: Treibender, durchaus wohlfeil produzierter Gothic-Rock gesellt sich zu Mozarts stets koital geprägten Texten.

Schließlich hält es der Mann mit Sigmund Freud: Es dreht sich alles um Sex im Leben - und im Falle von Mozart natürlich auch ums Grufti-Sein!

So darf Bachs berühmtes Orgelwerk "Toccata und Fuge" als klischeebeladenes Intro für "Der Liebe geweiht" herhalten; Songs wie "Viva Vulva" oder "Sex Vampire" bedürfen keiner weiteren Erklärung.

Das ist peinliche Beischlaf-Lyrik, die sich selbst bisweilen viel zu ernst nimmt. Damit driftet "Die Unsterblichen" zwangsweise in die Lächerlichkeit ab. Denn zwischen genial und genital liegt nicht nur ein Buchstabe, sondern im Fall von Umbra Et Imago gleich mal ein gesamtes Universum.


Der Trick besteht eben darin, die Dinge auch mal ein wenig unverkrampfter anzugehen. Wie Alexx und Noel Pix von Eisbrecher.


Sie sehen sich nicht als Aushängeschild irgendeiner Szene, sondern einfach nur als Entertainer (Alexx) und Musiker (Noel). Und so verhalten sie sich dann auch: Die Gesten groß, die Medienpräsenz gewaltig, die Werbetrommel an allen Ecken und Enden ordentlich gerührt.

Dass ihr gerammsteinter Cocktail aus krachigen Gitarren, Hochdruck-Beats und sägender Computermusik nicht die musikalische Offenbarung ist, mag man den Jungs verzeihen.

"Schock", das neueste Werk aus der Münchner Klangschmiede, bietet das, was man von den Eisbrechern erwartet: Martialisch-muskulöser Hard-Rock, mit leichter Gesellschaftskritik garniert – und was für's Herz darf natürlich auch nicht fehlen. Gerade "Volle Kraft voraus" und "1000 Narben" werden ihren Weg in die hiesigen Clubs mit Sicherheit finden, und "Himmel, Arsch und Zwirn" kann man neidlos als kleines Meisterwerk anerkennen.

Dass der "Schock" am Ende dann ziemlich schnell verflacht, ist angesichts der höchst sauber produzierten Songs durchaus verschmerzlich.

Bleiben wir gleich im alpenländischen Raum – und blicken nun auf Wanda aus Wien.


Um ihre Muttersprache zu bemühen: Die Jungs sind waschechte "Haberer" (Kumpels), ihre Musik "des Leiwandste, was ma si nur vorstö'n kann" (die nur erdenkbar Schönste). Sie singen famos über Schnaps, Sex und Spitäler (Krankenhäuser) – kurzum: über das Leben.

In Stein gemeißelte Phrasen wie "Mein Glied unterwirft sich der Diktatur Deines Mundes, Baby", "Ich saufe keinen Schnaps, ich sauf' einen Pistolenlauf" oder "Sterben wirst du leider nur in Wien" bündeln das zynisch-sarkastische Weltbild der Wiener Bürger in herzhaft-fatalistische Zeilen. "Amore" ist Wandas erstes Album – und vielleicht auch schon das Letzte, so kaputt wie die Jungs hier klingen.

Die Songs liegen zwischen Rock'n'Roll und Garagen-Punk wie Alkoholleichen, die irgendwie charmant nach Zigarettenqualm und billigem Fusel riechen. Wanda sind im besten Sinne Existenzialisten – ohne Schwermut und lähmender Grübelei. Selten klangen deutsche Texte so klischeebefreit, aber das sind eben Österreicher: Die können das.


Deutsche Bands verlassen sich da lieber auf die internationale Verständlichkeit des Englischen.


Wenn sie aber, wie im Falle der Munitors
, so glänzend in Szene gesetzt werden, sei ihnen das mit Freuden erlaubt. Die Jungs aus der Wetterau kredenzen uns mit "Sleepless, Careless, Dreamless" eine höchst ambitionierte EP. Darin kritisieren sie unsere einfallslose, höchst mittelmäßige Gesellschaft – verpackt in gelungenem Indie-Rock, der so schnörkellos und unhip daherkommt, dass er wohl gerade deshalb auch das Zeug zum neuen Hype hat.

Im Dunstkreis von Kings Of Leon, U2 und ähnlich gitarrenverliebten Combos angesiedelt, nisten sich die fünf Songs völlig unaufgeregt in unsere Gehörgänge, wie es selten einer Band gelingt. Vielleicht muss noch ein wenig an der Coporate Identity gefeilt werden, aber Stücke wie "Walls Collide" bringen schon die richtige Energie auf, um nicht ungehört zu bleiben.


Nicht ungehört, aber im Internetz quasi unauffindbar ist (((S))).


Der Mann hinter diesem Projekt will
nur wenig von sich preis geben, weswegen er sich diesen Bandnamen bewusst ausgesucht hat. Denn wer schon mal versucht hat, ihn in eine Suchmaschine einzugeben, wird sich vermutlich vor Verzweiflung in die Tastatur verbeißen.

Aber (((S))) ist da, und das sogar besser denn je.


Auf seinem vierten Album "Welcome To The Heartland" betreibt der Däne eine groß angelegte Feldstudie über seine eigene Beifndlichkeit. Jedem Stück steht ein surrealistisches Intro mit Computerstimme und elektronischen Soundscapes voran. Die eigentlichen Songs wechseln dann das Metier: Psychedelisch angehauchter Post-Rock wird hier zur eigentlichen Wahl der Waffe. "Perfectly Imperfect" liebäugelt sogar überdeutlich mit dem drogeninduzierten Psychedelic-Rock der späten 60er Jahre.

"Welcome To The Heartland" ist allen voran das Zugeständnis eines Künstlers an sich selbst: (((S))) kostet seine Freiheiten aus, ohne auch nur einen flüchtigen Gedanken daran zu verschwenden, wie seine Anhänger diese extrovertierte Mischung aus Elektronik und Rock wohl aufnehmen könnten.


Zwar sind diese einst so bitterlich verfeindeten Pole im Hier und Heute keine Gegensätze mehr; auf "Heartland" werden sie allerdings so krass wie schon lange nicht mehr gegenüber gestellt. Dennoch – Überraschung! – wirkt alles sehr harmonisch.

Apropos künstlerische Freiheit: Diese nimmt sich Berufs-Melancholiker Nick Cave seit Jahrzehnten.


Nicht nur als Musiker, sondern auch in seinem Zweitleben als Schrift- oder Schausteller reüssierte der Mann mit der hohen Stirn und dem stets vorapokalyptischen Blick.

Skateboards sind nun nicht gerade das nächstliegendste Sujet, das man mit dem tiefgründigen Australier in Verbindung bringen würde. Was diesen wiederum nicht daran hinderte, in Zusammenarbeit mit der Firma Fast Times ein eben solches zu kreieren.


Das limitierte Rollbrett ist mit einem Gemälde des Künstlers Chuck Sperry versehen. Dargestellt ist eine blond-barbusige Sirene; die Rückenpartie kokett zum Betrachter gedreht. Gelb und Orange dominieren die leicht halluzinogene Szenerie, die den berühmten, psychedelischen Konzertplakaten der ausklingenden Hippie-Ära zur Ehre gereichen würden.

Garniert mit Refrain-Zeilen aus Caves "Nature Boy" vom Album "Abattoir Blues", wird es sicherlich einige hartgesottene Fans dazu verleiten, vielleicht doch einmal den sonst eher wenig sportaffinen Fuß auf dieses Gerät zu setzen. Wobei man sich einen Cave-Jünger im Grunde ebenso wenig auf solch ein Board vorstellen kann, wie den Meister psychotisch-cooler Lyrik himself. Das Werbevideo gefällt trotzdem.

Am Ende unseres Rückblicks verneigen wir uns in tiefer Trauer vor einem Mann, der viel dazu beigetragen hat, dass die elektronische Musik aus den Stockhausen'schen Klang-Laboren in die Pop-Kultur gehoben wurde: Edgar Froese.


Als Frickler vom Dienst beeinflusste er den sphärischen Sound seiner Band Tangerine Dream, die neben Kraftwerk bis heute als Aushängeschild des deutschen Kraut-Rocks gilt.


Unvergessen das 1973er Album "Atem", welches der legendäre John Peel damals zu seinem "Album des Jahres" erkor.

Noch im vergangenen Jahr (und als letztes Ur-Mitglied der Formation) spielte Froese seine bekannt-entspannten Tangerine-Träumereien vor großem Publikum. Am 20. Januar verstarb er an den Folgen einer Lungenembolie in Wien.


Auf der Bandseite nahmen die verbliebenen Musiker Abschied: "Edgar hat einmal gesagt: 'Es gibt keinen Tod, sondern nur einen Wechsel unserer kosmischen Adresse'. Das spendet uns ein wenig Trost", heißt es in einem kurzen Eintrag. Edgar Froese wurde 70 Jahre alt.

Danke für Deine Musik, Edgar!

||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 12.02.15 |  KONTAKT |  WEITER: CD-KRITIK SARA NOXX "ENTRE QUATRE YEUXX" >



COVER © OBLIVION/SPV (UMBRA ET IMAGO); SEVENONE MUSIC/SONY (EISBRECHER); PROBLEMBÄR RECORDS/ROUGH TRADE (WANDA); FISHERMAN RECORDS (THE MUNITORS); POISONIC ((((S)))).


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