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Ich geb‘ Gas, ich will Spaß: Nach mehr als dreißig Jahren rollt die ewig jung gebliebene Welle munter weiter – und spült in regelmässigen Abständen Flachsinns-Klassiker à la Peter Schilling, Markus oder Hubert Kah an die Oberfläche. Letztere waren zuletzt in einem Promi-Kochspiel zu sehen, wo Kah (wirres Zeug faselnd) an der Zubereitung einer simplen Gemüsebrühe scheiterte und Markus, die alte Grinsebacke, seinen akkurat begelten Blondschopf zur Schau trug.
Auch die Grabbeltische dieser Welt bieten NDW-Kompendien in Hülle und Fülle: Lustig bunte Klangscheiben mit obligatorischem Zauberwürfel-Cover quellen uns dort aus unendlichen Heino-Schürzenjäger-Andrea Berg-Tiefen entgegen - und versammeln mit zielgenauer Treffsicherheit eben jene Künstler, deren Hexenkünste einst die Zerschlagung der ersten popkulturellen Revolution in deutschen Landen bewirkt hatten: Eine Dokumentation des klanggewordenen Grauens.
Anders der neue ZYX-Sampler, "History of NDW". Hier wurde die Welle erfreulicherweise von altbekannten Weghör-Parasiten befreit – und der löbliche Versuch gestartet, der Bewegung nicht nur auf den Zahn zu fühlen, sondern gleichsam den Bogen zur gegenwärtigen Alternativkultur zu spannen. Das Ergebnis: Ein frischer, unkonventioneller Sampler, der im gut sortierten Handel zwar ein paar Euronen mehr kostet als seine bösen Billig-Genossen, dafür aber wenigstens den Kern der locker-flockigen Welle auf den Punkt bringt.
Der Versuch, sich dieser kurzlebigen Strömung aus alternativer Richtung zu nähern, gelang bisher nur zweimal richtig gut. Ein erstes Exempel statuierte die Zusammenstellung "UntergruNDW", die nicht zu Unrecht mit dem freundlichen Zusatz "Die wahre Neue Deutsche Welle" versehen war. Die auf dieser Doppel-CD teilweise erstmalig digital veröffentlichten Songs gruppieren sich schaulustig um die rohe, ungeschliffene Spielfreude der vom britischen Punk und New Wave beeinflussten Bands der Marke Fehlfarben, X-Mal Deutschland oder den Strassenjungs.
Rund sechs Jahre später kam der Journalist Jürgen Teipel auf die revolutionäre Idee, die Mitbegründer und Pioniere der NDW zu interviewen. Herausgekommen ist "Verschwende Deine Jugend", ein schillerndes Sittengemälde deutscher Befindlichkeit zwischen RAF, Kaltem Krieg, Umweltzerstörung und Atomkraft. Neben dem Buch erschien ein wunderbares CD-Digipack, mit dem man endlich auch tiefer in die Klang-Materie eintauchen konnte. Wir lauschten unter anderem den ersten musikalischen Gehversuche der Humpe-Schwestern a.k.a. Neonbabies oder ZK, der längst vergessenen Hosen-Vorgänger-Combo - und sichteten zum Schluss auch Jürgen Engler in der Menge, der seine Karriere als Punker bei Male begann, ehe er Lou Reeds "Metal Machine Music" für sich entdeckte und unter dem Namen Die Krupps fortan mit der Pflege von industrielleren Tönen begann.
In gleicher Reihe der CD-Regale wird künftig auch "The History Of NDW" stehen. Zwar arbeitet der Heckparaden-freie Sampler diese so bedeutsame Zeit zwischen 1978 und 1983 nicht in der epischen Breite seiner Vorgänger auf, schafft es mit 20 bruchlandungsfreien Songs aber dennoch gekonnt, den Bogen von 1980 bis in die Gegenwart zu spannen. Das stark an Gabi Delgados aktuellen Longplayer "1" (Plattenkritik hier) angelehnte Cover und der englische Titel kommen very international daher – und zeigen den unbedingten Willen der Macher, die international noch immer prägende Bedeutung der Welle hervorzuheben. Nun denn.
Einige Zugeständnisse an die von NDW-Sounds bisher unbefleckteren Gehörgänge sind am Ende dann doch dabei. Das Spektrum reicht von Joachim Witts "Goldenem Reiter" bis zum Ideal(en)-Schlager "Blaue Augen" und wartet leider auch einmal mehr mit dem Dorau‘schen Dauerlutscher "Fred vom Jupiter" auf. Diese Songs standen einst an der Schwelle zum Klang-Kommerz, besaßen allerdings noch so viel subversives Text-Potenzial, um alternative Gewächse von damals (und heute) durchaus sanftmütig zu stimmen. Danach macht "The History Of NDW" zum Glück auch keine weiteren Zugeständnisse mehr und wir dürfen aufatmen: Malarias unterkühlter Wave-Klassiker "Kaltes klares Wasser" ist ein ebenso chartunfreundliches Wesen wie die hektisch-elektrische „Haut der Frau“ von Soundtüftler Pyrolator. Und die fleissigen Zimmermänner nehmen mit ihrem Ska-durchfluteten "Weil die Moral schläft" den Diskurspop von Blumfeld oder Die Sterne vorweg.
Verknüpfungspunkt zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Der zwar nicht sonderlich spektakuläre, dafür zumindest beispielhafte Remix von Rheingolds "Dreiklangsdimensionen". Hinter den Turntables am Start: Die immer noch präsenten Techno-DJs Lexy & K. Paul, die diesen Klassiker elektronischer Popmusik kraftwerk'scher Provenienz gekonnt verschrauben. Die Wichtigkeit der musikalischen Elterngeneration für die aktuellen Genre-Strömungen könnte deutlicher nicht ausfallen als bei diesem Stück.
Danach geht "The History Of NDW" einen Schritt weiter – und begibt sich auf die Suche nach frischeren Spuren. Zum Glück wurden auch bei diesem durchaus heiklen Unterfangen preußische Fettnäpfchen und sonstige Hitparaden-Fallen glimpflich umschifft. Auf diese Weise kommen endlich mal die völlig zu Unrecht unterschätzten Spillsbury mit "Lass Mich" zu jenen kleinen Ehren, die sie bereits in den Nuller-Jahren hätten erhalten sollen. Weitere Kostproben: Gabi Delgados "Neosexi" und die annehmbare Welle:Erdball-Interpretation des Kraftwerk-Klassikers "Die Roboter" – zwei Lieder, die ein weiteres Mal den Einfluss der Prä-"gib-Gas-will-Spaß"-NDW auf die Moderne belegen.
Dass es ironischer Weise gerade das ZYX-Label ist, welches mit einem derart hochwertigen Sampler den etwas anderen Tanz in den Mai einläutet, verwundert. Oftmals sind die besagten Grabbeltisch-Klassiker des Labels von eher zweifelhafter Qualität. Hier allerdings haben die Macher lobenswerte Arbeit geleistet - und vollziehen den gekonnten Querschnitt durch das etwas andere deutschsprachige Liedgut. Prädikat: Besonders wertvoll. Es darf also munter zugegriffen werden.
|| TEXT: BISSINGER/DRESSLER // DATUM: 03.05.2014 ||
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